Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
weitermachen soll. Irgendetwas am Verhalten dieses Jungen lässt bei mir die Alarmglocken schrillen. Kein Vierzehnjähriger ist zwei Tage nach dem Mord an seinem Vater derart gefasst und selbstsicher. Vielleicht sollte ich es anders versuchen. »Und Gloria? Woher kennst du sie?«
»Sie ist Dads Geschäftspartnerin .... « Er verstummt und korrigiert sich: » War seine Geschäftspartnerin.«
»Mehr nicht?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich habe euch beide vor dem Gerichtsgebäude gesehen. Du sahst ziemlich fertig aus.«
Es stochert in seinem Blaubeer-Muffin herum. Noch hat er ihn nicht angerührt und auch keinen Schluck Kaffee getrunken. Jetzt bricht er ein winziges Stück ab und hebt es an die Lippen, aber er steckt es nicht in den Mund, sondern lässt die Hand auf den Tisch zurücksinken. »Ich mag Gloria. Sie ist nett. Sie behandelt mich immer wie einen Erwachsenen. Ich weiß, dass sie meinen Dad oft getroffen hat. Ich weiß, dass sie eine Beziehung hatten. Sie kann ihn nicht umgebracht haben.«
»Und da bist du dir so sicher .... weil?«
Er faltet die Hände und legt sie in den Schoß. Seine Schultern krümmen sich nach vorn. »Weil ich weiß, wer es war.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Du weißt es?«
Er reckt das Kinn. »Es war meine Stiefmutter. Laura ist die Mörderin.«
»Ich dachte, du wärst den ganzen Tag lang mit deiner Stiefmutter zusammen gewesen. Jedenfalls hast du das der Polizei erzählt.« Zum ersten Mal gerät seine Fassung ins Wanken.
Seine Augen weiten sich und füllen sich mit Tränen. »Das ist mir egal. Sie hat es getan. Ich weiß, dass sie es war. Ich weiß sogar, warum.« Ich bedeute ihm mit einem Nicken, fortzufahren. »Weil mein Vater Ärger hatte. Ich glaube, sie hätten ihn bald verhaftet. Er wäre ins Gefängnis gekommen.«
Jason sieht aus, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen. Er soll sich nicht so aufregen, dass er mir davonläuft, also bleibe ich still sitzen und gebe ihm Zeit, sich zu fassen. Er beruhigt sich schneller, als ich erwartet hätte. Die Panik verschwindet aus seinem Blick, sein Gesicht entspannt sich.
Vorsichtig fange ich an. »Warum glaubst du, dass dein Vater bald verhaftet worden wäre? Ich kann mich nicht erinnern, dass in einem der Zeitungsberichte etwas darüber stand. Und die Polizei müsste ganz sicher davon wissen.«
Er stößt den Atem aus. »Nicht unbedingt. Ich habe Dad und Laura gehört, morgens an dem Tag, an dem er ermordet wurde. Sie haben sich im Arbeitszimmer unterhalten und wussten nicht, dass ich wieder reingekommen war. Ich konnte vom Flur aus alles hören. Dad hat gesagt, irgendetwas würde bald herauskommen. Etwas Schlimmes. Dad hat gesagt, wir müssten sofort das Land verlassen. Laura wollte nicht.«
»Hat er gesagt, um was es dabei ging?«
»Nein. Nur dass wir hier nicht bleiben könnten. Wenn wir bleiben, hat er gesagt, würden wir alles verlieren. Laura war stinkwütend. Sie hat gesagt, dass er übertreibt, dass ihr Leben hier ist und sie nur über seine Leiche weggehen würde.« Die letzten Worte betont er leicht. »Deshalb weiß ich, dass sie es war. Ich weiß nur nicht, wie sie es gemacht hat.«
Ich beuge mich zu ihm vor. »Warum hast du der Polizei nicht gesagt, was du mir gerade gesagt hast?«
Seine Miene wird wütend. »Würde die Polizei denn einem Kind glauben? Und ich habe ihnen doch gesagt, wir waren den ganzen Tag lang zusammen. Ich bin ihr Alibi. Ich kann nichts beweisen. Aber Sie können ermitteln. Sie können einen Beweis dafür finden, dass Laura meinen Dad umgebracht hat.«
Ich lehne mich auf dem Stuhl zurück und mustere Jason. Er tut dasselbe – er mustert mich. Versucht meine Reaktion auf die Beschuldigung einzuschätzen, seine Stiefmutter hätte seinen Vater ermordet.
Heftige Anschuldigung. Er hat die Zähne so fest zusammengebissen, dass ich die Muskeln zucken sehe.
Einen Moment später fragt er: »Sie glauben mir doch, oder?«
Das würde ich gern. Es wäre viel logischer, als dass Gloria O’Sullivan ermordet haben sollte, warum auch immer. Die Realistin in mir weiß aber auch, dass etwas glauben und es beweisen können zwei Paar Schuhe sind.
Kapitel 36
Ich habe mit der Antwort zu lange gezögert. Entweder das, oder mein Gesichtsausdruck wirkt zu zweifelnd, denn Jason schlägt mit der Faust auf den Tisch. Unsere Kaffeetassen und Teller klirren, und alle Leute im Café zucken erschrocken zusammen. Mich eingeschlossen.
Gordon fragt: Alles okay da drüben?
Ja. Entschuldigung.
Er wendet sich
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