Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
ich sie von einer Hand in die andere. Ich kenne O’Sullivan nur von Fotos, daher weiß ich nicht, wie groß oder kräftig er ist, aber mein Partner ist ehemaliger Football-Profi, und ich weiß, wie groß und stark David ist. Ich weiß auch, dass er sich sehr gut selbst verteidigen kann.
Aber beim Gedanken an die Fotos schießt mir ein weiteres Bild durch den Kopf wie eine Ratte, die aus einer Falle entwischt ist. »O’Sullivan ist verheiratet. Er war mit seiner Frau und seinem Sohn hier, als ihr das Restaurant eröffnet habt.«
Sie senkt den Blick. »Deshalb fand ich es ja harmlos, dieses eine Mal mit ihm zu schlafen.« Sie betont dieses eine Mal, als würde dadurch irgendetwas entschuldigt.
»Nicht zu fassen. Nur du kämst auf die Idee, Ehebruch harmlos zu nennen. Dann dreh den Spieß doch einfach um. Droh ihm damit, es seiner Frau zu sagen. Oder der Presse. Er hat ebenso viel zu verlieren wie du. Sogar noch mehr, denn in diesem Bundesstaat herrscht prinzipiell Gütergemeinschaft.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das habe ich schon versucht. Er schert sich nicht darum. Er sagt, er und seine Frau hätten eine offene Ehe, und die Publicity könnte sogar gut sein. Für uns beide. Die Vorstellung, als Weiberheld zu gelten, gefällt ihm. Steigert noch sein Image als böser Junge, und wenn man uns als Paar sehen würde, könnte das dem Restaurant wirklich nur guttun. Anna, er ist nicht normal.«
»Aber du schon? Herrgott noch mal. Du betrügst David, und ich soll dir dabei helfen, es weiterhin vor ihm zu verbergen. Warum sollte ich das tun?«
Gloria zögert, und dann hellt sich ihre Miene auf, als fände sie es gut, dass ich ihr diese Frage stelle. »Ich weiß, was du denkst – wie das aussieht.« Hoffnung schimmert hörbar in ihrer Stimme. »An dem Abend, als es passiert ist, haben David und ich uns gestritten. Furchtbar gestritten. Ich war so hilflos, und Rory hat das ausgenutzt.«
Gloria, hilflos? Das kann ich nicht glauben. Eher glaube ich, dass ein Nilpferd sich von einem Floh bedroht fühlt. »Wann war das?«
»Vor ein paar Monaten. Du warst gerade .... was weiß ich, was du immer tust, wenn du verschwindest.«
Sie unterbricht sich und zieht scharf den Atem ein. Zu spät.
»Willst du damit sagen, bei dem Streit wäre es um mich gegangen? Dass das alles irgendwie meine Schuld war?« Sie braucht nicht zu antworten. Es steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Ach, Gloria, du musst wirklich strohdumm sein, wenn du glaubst, ich würde dir helfen.«
Ein langes, angespanntes Schweigen entsteht, während wir einander anstarren. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach gehe. Ich weiß nicht, warum ich mich noch nicht kreischend auf sie gestürzt habe, um ihr die Haare büschelweise auszureißen. Ich verstehe nichts von alledem, bis er kommt. Der Geistesblitz. Er muss in meinem Hinterkopf her-aufgezogen sein, seit Gloria das Wort »Erpressung« gebraucht hat.
Das hier könnte genau die Gelegenheit sein, auf die ich gewartet habe. Ich lächle. »Weißt du was, Gloria? Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde mit Rory sprechen.« Erleichterung lässt die Falten um ihren Mund weicher wirken, bis sie merkt, dass ich noch nicht ganz fertig bin. »Im Gegenzug wirst du auch etwas für mich tun.«
Das finstere Gesicht ist wieder da.
Ich würde ihr zu gern sagen, dass sie für immer aus Davids Leben verschwinden soll, aber das steht mir nicht zu. Ich kann allerdings dafür sorgen, dass sie in meinem Leben nicht mehr vorkommt.
»Falls du und David euch tatsächlich versöhnt, wirst du mich nie wieder bei ihm miesmachen. Du wirst nie schlecht über unser gemeinsames Geschäft sprechen oder ihm einreden, er solle sich einen anderen Partner suchen. Du bist ab sofort mein größter Fan.«
Gloria macht den Mund auf, um zu protestieren, schließt ihn aber prompt wieder. Ich sehe förmlich, wie es in ihrem Spatzenhirn rattert. Sie versucht, dahinterzukommen, wie lange sie sich an diese Abmachung halten müsste.
»Für immer, Gloria.«
»Und wenn ich dazu nicht bereit bin?«
»Dann wirst du ab sofort von zwei Leuten erpresst.« Jetzt ist sie es, die mich fassungslos anstarrt. Ich bin geduldig, denn ich bin unsterblich. Ich erwidere ihren Blick, bis sie zur einzig möglichen Schlussfolgerung kommt.
»Also schön. Ich bin einverstanden.«
»Wunderbar. Wo finde ich Rory?«
Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Er kommt heute Abend hierher. Gegen Mitternacht. Kannst du dann hier sein?«
Gut. Ich will es so bald wie möglich
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