Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
nötig ist, um diese Mädchen zu retten.
Warum können wir ihnen nicht helfen?, frage ich. Warum können wir beide die Wunden nicht mit unserem Speichel schließen? Das funktioniert bei Vampiren genauso gut wie bei Menschen. Ich weiß es, ich habe das schon getan.
Sie sind zu schwach. Sie brauchen als Erstes menschliches Blut, damit die Heilung einsetzen kann. Wieder bedeutet sie mir stumm, ihr zu folgen, und geht einen Flur entlang. Komm mit. Die vier Kräftigsten sind hier hinten im Schlafzimmer. Ihnen konnten wir die Halsbänder schon abnehmen. Du kannst mit ihnen sprechen, wenn du möchtest.
Sie führt mich in ein Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses. Es sieht aus wie in einem Schlafsaal – drei Etagenbetten stehen an den Wänden. Die Fenster sind mit Sperrholzplatten vernagelt. Es gibt keine weiteren Möbel. Das Ganze wirkt sehr seltsam, bis mir wieder einfällt, dass Williams dieses Haus als Zuflucht bezeichnet hat, als sicheres Haus. Aber wozu ein sicheres Haus?
Ohne dass ich weiter nachfragen muss, erklärt Rose : Manchmal müssen Geschöpfe wie wir in den Untergrund gehen. Du bist noch nicht lange genug ein Vampir, um solche Zeiten erlebt zu haben. Zuletzt mussten wir uns vor zehn Jahren verstecken, als die Rächer besondere Anstrengungen unternommen haben, um uns auszurotten. Zurzeit werden Häuser wie meines in Notsituationen wie dieser genutzt. Als Zuflucht für verwundete Vampire.
Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen. Die vier Vampirinnen trinken gerade. Die Halsbänder sind weg. Vor meinen Augen beginnen sich bei zwei von ihnen die Wunden zu schließen. Die Löcher haben ausgefranste, zackige Ränder, als wären die dicken Nadeln mit Zähnen oder Haken versehen gewesen. Wo die Halsbänder in die Haut eingeschnitten haben, sind Blutergüsse zu sehen. Die beiden anderen sind noch nicht so weit fortgeschritten. Bei ihnen klaffen noch offene Wunden am Hals, aus denen Blut und eine klare Flüssigkeit sickert. In der Haltung, mit der sie ihre Wirte umklammern, liegt Verzweiflung und Schmerz. Die Menschen halten still und ertragen es tapfer.
Besser als ich. Der Drang, mich schnell wieder abzuwenden, ist sehr stark. Ich habe mehrere Minuten gebraucht, um es zu bemerken, doch jetzt trifft es mich wie ein Schlag. Erschüttert wende ich mich Rose zu. Es sind nur neun. Sie stößt die Luft aus. Eine hat es nicht geschafft.
Sie war schon zu geschwächt.
Eine der Vampirinnen, deren Wunde sich schon fast geschlossen hat, sieht mich an der Tür stehen und schiebt sacht ihren Wirt von sich, damit sie aufstehen kann. Es ist die erste Frau, die ich gesehen habe, als ich den Keller betrat. Jemand hat ihr einen Jogginganzug gegeben, und sie zupft am Saum des Sweatshirts, während sie auf mich zukommt. Sie ist sehr jung – kann kaum ein paar Jahre älter sein als Trish. Sie hat das blonde Haar hinter die Ohren gestrichen und lächelt mich schüchtern an.
Innerlich winde ich mich beim Gedanken an das Grauen, das dieses Mädchen erlebt hat – erst so jung zum Vampir gemacht und dann das Opfer solcher Folter zu werden. Trotz alledem lächelt sie mich an. »Ich bin froh, dass Sie da sind«, sagt sie. »Ich konnte mich noch gar nicht bedanken.«
Sie ist zierlich und sehr dünn. Wie lange bist du schon ein Vampir? Sie sieht mich fragend an, als erwarte sie eine Antwort auf ihre Begrüßung. Ich versuche es noch einmal. Wie lange bist du schon ein Vampir? Ihr Gesichtsausdruck bleibt unverändert – erwartungsvoll und nun ein wenig verwundert über mein Schweigen. Als ich in ihre Gedanken eindringe, stelle ich erschrocken fest, dass sie mich telepathisch nicht hören kann.
Siehst du?, bemerkt Rose. Da stimmt etwas nicht. Sie ist viel stärker als die anderen, der Heilungsprozess ist bei ihr am weitesten fortgeschritten. Sie müsste uns eigentlich verstehen können.
Die junge Frau runzelt jetzt die Stirn, denn sie spürt negative Energie, ohne den Grund dafür zu kennen. »Was ist?«, fragt sie mit zitternder Stimme. Rose und ich wechseln einen Blick. Wir wissen beide nicht, was wir darauf antworten sollen. Die junge Vampirin ist jetzt ganz aufgewühlt. Sie legt die Hände an die Kehle und beginnt zu zittern.
Ich trete zu ihr, lege einen Arm um sie und drücke sie an mich. Sie kann nicht noch mehr Horror gebrauchen. »Es tut mir leid«, sage ich. »Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit.« Ich spüre ihre Rippen durch den Stoff des Sweatshirts. Sanft drehe ich sie wieder zu ihrem Bett herum. »Bitte setz
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