Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
dich.«
Sie lässt sich auf der Bettkante nieder und umklammert meine Hand. Die drei anderen beobachten uns. Dieselbe unheimliche Stille durchdringt den Raum, die ich eben schon gespürt habe. Ich sende meine Gedanken in ihre Köpfe und erhasche flüchtige Eindrücke von Emotionen, weiter nichts. Keine Reaktion, nichts, was darauf hindeutet, dass sie meinen tastenden Geist spüren.
Rose sendet mir die Frage zu, die auch mir durch den Kopf geht: Sie sind nicht wie wir. Sie sind Vampire, aber anders. Ich blicke von einem Mädchen zum anderen. Alle starren Rose und mich an, sie spüren unsere Besorgnis und strahlen selbst Angst aus. Aber das ist alles, was sie ausstrahlen. Ich verstehe das nicht. Ich habe sie doch in der Fabrikhalle gehört. Ich habe sie schreien hören. Nur so konnte ich sie überhaupt finden. Aber jetzt?
Das Mädchen neben mir auf dem Bett drückt meine Hand. Als ich es ansehe, sagt es: »Ich heiße Rebecca.«
Ich schiebe meine Sorgen für den Moment beiseite. »Hallo, Rebecca. Ich bin Anna. Meinst du, du könntest mir ein paar Fragen beantworten?« Sie nickt. »Wie bist du dorthin gekommen?«
Rebecca schließt die Augen. »Ich weiß es nicht«, flüstert sie.
»Kannst du mir sagen, wie lange du in dem Keller warst?«
Eine Stimme links von mir antwortet. »Sie war die Neueste. Sie haben sie vor drei Tagen reingebracht.«
Ich drehe mich um. Die Stimme gehört zu einer jungen Frau Anfang zwanzig mit dunklem Haar und großen Augen. Das Wundmal an ihrem Hals ist schon fast verschwunden. »Sie haben immer nur eine Neue gebracht, wenn eine von den anderen…« Ihre Stimme bricht. Sie hält inne, fasst sich und fährt fort: »Es ist uns allen gleich ergangen. Wir sind frisch verwandelt. Wir sollten unseren Schöpfer zur ersten Jagd treffen, in einem leerstehenden Gebäude. Als wir dort ankamen, wurden wir betäubt. Und sind in der Hölle wieder aufgewacht.« Sie spricht bedächtig, mit ruhiger, sachlicher Stimme. Sie strahlt eine innere Kraft aus – vielleicht liegt es daran, dass sie von allen, die es geschafft haben, trotz ihrer Jugend die Älteste sein könnte.
»Was ist dann passiert?«, frage ich sanft.
»Wir bekamen etwas zum Aufwachen verabreicht. Da war ein Mann, ein Sterblicher. Er hat uns gefesselt und aufgehängt. Und dann hat er…« Sie zieht scharf die Luft ein und legt die Hand an die Kehle. »Er hat uns die Halsbänder angelegt. Der Schmerz war entsetzlich, aber wir konnten uns nicht bewegen, nicht einmal schreien. Wenn wir es versucht haben, wurde es nur noch schlimmer. Sobald die Nadel richtig saß, hat er die Beutel darangehängt. Wir mussten zusehen, wie unser Blut – unser Leben – Tropfen für Tropfen in diese kleinen Beutel rinnt.«
Rebecca neben mir weint. Ich lege ihr einen Arm um die Schultern. »Es tut mir leid.« Das gilt ihnen allen, doch die Worte hallen selbst in meinem eigenen Kopf wider wie eine leere Floskel. Ihnen zu sagen, dass es mir leid tut, ist so bedeutungslos. Die Hexe zu töten, die dafür verantwortlich ist, wird mir viel bedeuten.
Rose sieht mich mit hochgezogener Braue an. Finde so viel wie möglich heraus.
Sie geleitet die menschlichen Wirte hinaus und lässt mich mit den Mädchen allein. Alle haben den gleichen Gesichtsausdruck – erwartungsvoll. Sie sehen mich an, als hätte ich Antworten für sie, dabei habe ich ihnen in Wahrheit nichts zu bieten. Noch nicht. »Ich weiß, das wird schwer für euch, aber ich brauche eure Hilfe. Ihr müsst mir alles über die Leute erzählen, die euch das angetan haben – alles, woran ihr euch erinnert. Könnt ihr das?«
Die Brünette spricht als Erste. »Was wollen Sie denn wissen?«
»Der Mann, der das Blut eingesammelt hat – hat er je mit euch gesprochen? Oder erwähnt, wozu er es braucht?« Sie sehen einander an und schütteln langsam die Köpfe. »Könnt ihr ihn beschreiben?«
»Sadistisch.«
»Grausam.«
»Es hat ihm Spaß gemacht.«
Rebecca wischt sich die Augen. »Er war massig«, sagt sie – endlich etwas, womit ich was anfangen kann.
»Wie massig?«
»Wie ein Sumo-Ringer. Aber er hatte weiche Hände. Ich erinnere mich daran, dass ich das seltsam fand. Er hat nicht mit uns gesprochen. Er hat nur seine Arbeit getan, mit einem grimmigen Lächeln auf dem Gesicht.«
Sumo-Ringer – Burkes Leibwächter? »War auch mal eine Frau bei ihm?«
Rebecca schüttelt den Kopf. »Nein. Er war immer allein.«
»Was ist mit dem Vampir, der euch verwandelt hat? Wie hieß er?«
»Er hat sich Loren
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