Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
ich eigentlich will: einen guten, kräftigen Drink.
Bewaffnet mit einem Glas feinstem Whiskey und meinem Laptop beginne ich mit der Suche nach Loren alias Jason Shelton. Ich google seinen Namen. Es taucht nur ein Link zu einem Unternehmen auf. Nelson Security Services. Das ist der Name in dem Logo auf dem Wagen, der auf dem Parkplatz der Fabrikhalle stand. Ich klicke mich zu der Website durch. Firmenprofil, Philosophie, Referenzen von zufriedenen Kunden.
Fotos. Ein Gruppenbild vor dem Büro der Sicherheitsfirma. Einer der Wachmänner sticht mir sofort ins Auge. Ich erkenne ihn wieder. Jetzt sind die Erinnerungen klar, aber sehr verstörend. Der Wachmann mit dem Hund in der Fabrikhalle war der Mann aus meinem Traum.
Und dieser Mann ist Jason. Aber – ein Vampir? Ich habe keine entsprechende Ausstrahlung bei ihm gespürt. Da war nichts, nur ein vager Eindruck von Feindseligkeit und Gemeinheit – das Gefühl, dass er ein fieser Mistkerl ist, aber ein menschlicher Mistkerl.
Als Williams kommt, schwirrt mir der Kopf vor Verwirrung und Scotch. Ich behalte beides für mich und nehme eine betont sachliche Haltung ein, als ich ihm vom Zustand der Vampire in dem sicheren Haus berichte und was sie mir erzählt haben. Dass Burkes Leibwächter sie gefoltert hat. Weshalb ich absolut sicher bin, dass dieser Wachmann Jason den Sprengstoff angebracht und die Halle in die Luft gejagt hat. Da er bei einer Firma angestellt ist, die in den Gelben Seiten steht, wäre das wohl der naheliegendste Anknüpfungspunkt.
Ich erwähne Williams gegenüber nicht, dass er ein Vampir ist und dass er derjenige war, der die Mädchen angelockt und verwandelt hat. Und auch nichts von dem Traum. Ich weiß nicht, warum ich ihm nichts davon sage. Vielleicht ist ein weiterer Vortrag über meine Unwissenheit mehr, als ich heute Nacht noch ertrage. Ich trinke noch einen Schluck Whiskey. Er brennt angenehm, und tröstliche Wärme breitet sich von meiner Magengrube aus. Ich drücke mir das Glas an die Wange. Scotch war wirklich eine viel bessere Idee als Kaffee. Ich bin längst nicht mehr so aufgewühlt.
Williams streckt die Hand aus und nimmt mir das Glas weg. »He. Das brauche ich.«
»Morgen«, erwidert er.
»Morgen?«
»Du machst dich morgen auf die Suche nach Jason.« Er bringt das Glas zur Spüle und leert es aus. »Du siehst fertig aus. Das mit einer Flasche Scotch zu bekämpfen, wird nicht gerade hilfreich sein. Schlaf schon. Geh ins Bett. Ich suche derweil nach Jason. Und bis morgen früh müssten wir die Analyse dieser Gesichtscreme haben.«
Er verstummt, aber ich habe das Gefühl, dass er irgendetwas vor mir verbirgt, genauso wie ich meine Unsicherheit vor ihm verberge. Was zu mir durchdringt ist die Trauer über den Verlust von Ortiz. Das Gefühl verschwindet sofort wieder, doch es wirkt ernüchternd.
»Was glaubst du, was Burke mit dem Blut anstellen wollte, das sie den Vampiren abgezapft hat?«, frage ich nach kurzem Schweigen.
»Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, das Blut ist ein Bestandteil ihrer Creme.«
Ich schließe die Augen, lasse mir die Idee durch den Kopf gehen und finde sie abstoßend. »Aber wie? Und wozu?«
»Es ist eine Anti-Aging-Creme.« Sein Tonfall klingt barsch und vorwurfsvoll. »Frauen sind zu praktisch allem bereit, um ihre jugendliche Schönheit zurückzubekommen. Burke hat eine Möglichkeit gefunden, aus diesem Drang Kapital zu schlagen.« Seine pauschale Verurteilung der Frauen im Allgemeinen sollte meinen Widerspruch hervorrufen, aber heute Nacht reicht es nur zu einem müden Seufzen.
»Wie könnte das funktionieren? Hast du je davon gehört, dass Vampirblut in einem menschlichen Produkt benutzt wurde?«
»Nein. Ich habe noch nie davon gehört, dass die äußerliche Anwendung von Vampirblut irgendeine Wirkung besäße. Das heißt aber nicht, dass es nicht so sein könnte.« Er steht auf. »Morgen wissen wir mehr. Jetzt geh schlafen. Ich habe dafür gesorgt, dass dein Haus bewacht wird –«
»Wachen? Warum denn?«
Er wirft einen Blick auf die Flasche. »Damit du auch noch ein Morgen hast. Es wäre möglich, dass Burke dich beobachten lässt. Wenn ja, dann weiß sie, womit du den Nachmittag verbracht hast. Sie wird stinksauer sein, weil du diese Mädchen aus ihrer Fabrikhalle gerettet hast. Ich würde ja vorschlagen, dass du heute Nacht woanders schläfst, aber du bist selten geneigt, meine Vorschläge anzunehmen. Also habe ich das Nächstbeste getan.«
Dieses eine Mal widerspreche ich ihm nicht
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