Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
er glaubt, diese Situation kontrollieren zu können. Ich bin nur aus einem einzigen Grund hier. Ich will von Sophie Deveraux so viel wie möglich erfahren. Was mich angeht, ist Turnbulls einzige Funktion die eines nichtelektronischen Navigationsgerätes. Weiter nichts. Turnbull beobachtet mich und liest die Gedanken, die ich absichtlich nicht abgeschirmt habe. Gleich darauf wendet er den Kopf ab. Er ist gar nicht glücklich darüber, hier zu sein.
Warum ist er dann da? Schuldet er Williams einen Gefallen? Oder soll er mich im Auge behalten? Turnbull hat nicht übertrieben, als er Cherry Hills nobel genannt hat. Eine drei Meter hohe Mauer erstreckt sich vor uns in beide Richtungen, soweit ich sehen kann, und an der Einfahrt steht ein Wachhäuschen. Über den Rand der Mauer ragen die Dächer zweier riesiger Villen auf.
Turnbull zieht eine Augenbraue hoch. Ich hoffe, Sie haben einen Plan B.
Wir halten vor dem Tor. Ehe der Fahrer auf das »Was kann ich für Sie tun?« des Wachmanns antworten kann, fange ich schon an, meine Geschichte zu erzählen – dass ich gerade erst mit meinem Onkel Bull aus Georgia hier angekommen sei und wir einen Termin mit einer Maklerin hätten, um uns hier eine Immobilie anzusehen. Aber wir hätten uns verspätet, und sie warte sicher schon auf uns, vor – ich sehe meinen Onkel Bull an – wie war die Adresse gleich wieder?
Turnbull stammelt Sophie Deveraux’ Adresse. Der Wachmann lächelt und macht ein bisschen Smalltalk, während er sich den Namen des Fahrers und das Kennzeichen der Limousine notiert. Dann winkt er uns durch.
»Sie machen das nicht zum ersten Mal«, bemerkt Turnbull trocken, als das Tor vor uns aufschwingt. Sein Tonfall klingt eher widerwillig als lobend.
»Was hätten Sie getan, wenn er erst Sophie Deveraux angerufen hätte, um sich die Geschichte bestätigen zu lassen?«
David und ich haben diesen Trick schon mehrmals dazu benutzt, in besonders gesicherte Wohnanlagen vorzudringen. Normalerweise bin ich die Maklerin und David der Interessent. Aber ich habe meinen Vorrat an falschen Visitenkarten zu Hause gelassen, daher musste ich improvisieren.
Zu Turnbull sage ich: »In so einer Gegend stellt man keine ›Zu verkaufen‹-Schilder in den Vorgarten. Die meisten Immobiliengeschäfte werden im Stillen getätigt. Er hatte gar keinen Grund, an unserer Geschichte zu zweifeln.«
Turnbull mustert mich. Er denkt: Schlaues kleines Biest. Dann verstummt er und schließt den Vorhang vor seinen Gedanken. Warum habe ich den Eindruck, dass er fast gehofft hat, der Wachmann würde uns nicht durchlassen? Wieder ermahne ich mich, wachsam zu bleiben. Er ist Williams vielleicht etwas schuldig, aber das macht ihn noch lange nicht zu meinem Freund.
Das Anwesen zu der Adresse entpuppt sich als weitläufige Backsteinvilla, umgeben von einem hohen Eisenzaun. Hinter dem Haus liegen Pferdekoppeln und ein Stall. Am Tor steht kein Wachmann, aber links davon sind eine Sprechanlage und eine Überwachungskamera angebracht.
Als der Fahrer klingelt, dauert es einen Moment, bis eine Frauenstimme mit spanischem Akzent fragt: »Ja?«
Ich beuge mich vor, damit ich ihr antworten kann. »Ich möchte zu Sophie Deveraux.«
»Würden Sie mir bitte Ihren Namen nennen?«
»Anna Strong.«
»Und weshalb möchten Sie Ms. Deveraux sprechen?«
»Das ist privat.«
Die Sprechanlage wird ausgeschaltet. Ich lehne mich zurück. Die Kamera schwenkt zu unserem Wagen herum. Durch die getönten Scheiben wird die Person, die irgendwo am Monitor sitzt, nicht in den Fond schauen können. Die körperlose Stimme kehrt mit einer Nachricht zurück. »Ich bedaure, Ms. Deveraux ist nicht zu Hause. Möchten Sie ihr eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein. Ich versuche es später noch einmal.« Turnbull wirkt erleichtert. Er weist den Fahrer an umzudrehen. Sobald wir ein Stück vom Tor entfernt sind, sage ich dem Fahrer, dass er halten soll.
»Warum lassen Sie ihn anhalten?«, fragt Turnbull gereizt.
Ich ignoriere ihn und sage zu dem Fahrer: »Suchen Sie den Zufahrtsweg hinter dem Anwesen.«
Turnbull hebt die Hand. »Moment mal. Wie kommen Sie darauf, dass es noch eine Zufahrt gibt?«
»Da hinten ist ein Stall. Ich habe keinen Weg gesehen, der von der Einfahrt dorthin führt, also muss es eine andere Zufahrt geben. Eine Art Lieferanteneinfahrt.« Der Fahrer wirft Turnbull einen unsicheren Blick zu. Frustration flammt in mir auf. »Hören Sie, ich finde einen Weg in dieses Haus, so oder so. Wenn es sein muss, steige ich
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