Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
in dünnen Rinnsalen aus den Schnittwunden sickert, weckt die Bestie in mir. Ich halte sie in Schach. Williams wird die Anwesenheit eines anderen Vampirs spüren, ehe er mein Blut wittern kann. Ich konzentriere mich darauf, mich vorwärtszubewegen, und ignoriere die grässlichen, brennenden Schmerzen, mit denen mir die Haut vom Leib gezogen wird. Denk an etwas anderes.
Zum Beispiel daran, wie Williams es geschafft hat, Sophie durch diesen schmalen Gang zu manövrieren. Hat sie sich widerstandslos mitnehmen lassen? Sie strahlt so eine Resignation aus, von der ich ganz gereizt werde. Fühlt sie sich wegen ihrer Beteiligung an Burkes Plan so schuldig, dass sie bereit ist, einfach kampflos aufzugeben? Deveraux jedenfalls nicht. Er hat die Chance genutzt, auf sich aufmerksam zu machen.
Nach etwa sieben Metern ist der Tunnel zu Ende. Ich bleibe auf Händen und Knien hocken und spähe hinaus. In der Nähe der Stelle, wo einmal die Treppe war – da, wo ich Ortiz zuletzt gesehen habe – wartet jemand. Die Überreste der Treppe bilden eine Nische, die hoch genug ist, um aufrecht darin zu stehen. Als Erstes erreicht mich Williams’ Witterung, von so starkem Hass durchdrungen, dass er alles andere überlagert.
Dann nehme ich Blutgeruch wahr. Sophies Blut. Wo ist sie? Williams hat mir den Rücken zugewandt. Ich kann nicht erkennen, was er tut, doch es fesselt seine gesamte Aufmerksamkeit. Sein Hass weicht jetzt dem Genuss – stark, erotisch. Ich schmecke seine Erregung förmlich in der Luft.
Wo ist Sophie?
Deveraux hat auf mich gewartet. Sobald er spürt, dass ich ganz in der Nähe bin, sagt er: Halt ihn auf. Schnell. Er wird sie umbringen.
Ich springe aus dem Tunnel und ramme Williams, tief und hart. Ich habe ihn überrumpelt. Er stürzt zu Boden. Er merkt erst, dass ich die Angreiferin bin, als er aufspringt und herumwirbelt.
Ich erwarte, dem Vampir gegenüberzustehen, stattdessen stehe ich vor dem Mann. Und was ich in seinen menschlichen Augen sehe, ist beängstigender als jede Bestie.
Kapitel 54
»Anna.« Er lächelt mich an. »Ich hätte mir denken können, dass du hier auftauchen würdest.« Sein Gesichtsausdruck ist verschlagen, kalt. Er hebt die Hände. Sie sind voller Blut, Sophies Blut. Er verdeckt mir die Sicht auf sie, aber ich rieche es. Ich trete ein Stück beiseite, wachsam, argwöhnisch, um sie zu sehen.
Sophie. Sie ist an Händen und Füßen an einen Träger gefesselt. Ihre Jeans und die Bluse sind vom Hals bis zum Bauchnabel aufgeschlitzt. Ihr Blut sickert durch den Stoff und bildet eine Pfütze auf dem Boden. Die Waffe, die er dazu benutzt hat, war scharf, denn ein einziger, abwärts geführter Schnitt ist durch Stoff und Haut gedrungen und hat diese blutige Spur hinterlassen.
Ihr Kopf hängt herab. Sie hat die Augen geschlossen und atmet schwer, als bekäme sie kaum Luft. Hat er sie betäubt? »Williams, was tust du da?«
Er zieht ein blutbeschmiertes Messer aus einer Scheide an seinem Gürtel. »Ich übe Gerechtigkeit.«
»Das ist keine Gerechtigkeit. Sophie trifft keine Schuld an Ortiz’ Tod.«
»Nein. Es ist nicht ihre Schuld, sondern Burkes.«
Sein Blick huscht zu Sophie. »Sie will mir nicht sagen, wie ich Burke finden kann. Ich habe es als Bestie versucht und als Mensch. Sie weigert sich, mir den Weg zu zeigen.«
»Den Weg?«
Ein Nicken. »Die anderen im Park haben gesagt, es gäbe eine Verbindung zwischen der irdischen und der ätherischen Ebene. Sie konnten Burke auf der Erde nicht lokalisieren. Um auf diese höhere Ebene zu gelangen, bräuchte man Blut, haben sie gesagt. Blut vom gleichen Blut.« Er deutet mit dem Messer nach unten. Zu seinen Füßen steht eine kleine Kristallschale voller Blut. »Ich werde ihnen dieses Blut geben. Damit sollen sie mich in die andere Welt schicken. Aber erst werde ich zu Ende bringen, woran du mich gestern gehindert hast.«
Die Bestie ist unter Verschluss. Williams lässt den Vampir weder geistig noch körperlich an die Oberfläche gelangen. Er will dies als Mensch tun. Er will nicht nur Sophies Blut für diesen Zauber sammeln, sondern sie sterben sehen. Das ist eine Seite an ihm, die ich noch nie zuvor gesehen habe.
»Williams, hör mir zu. Sophie ist ein Mensch. Du warst lange genug Polizist. Du weißt, dass es falsch ist, sie zu töten. Du hast, was du brauchst. Bring das Blut in den Park. Ich komme mit, wenn du willst, dann nehmen wir uns Burke gemeinsam vor.«
Deveraux regt sich in Sophies Geist. Worauf wartest du noch? Töte den Bastard.
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