Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
Er ist wahnsinnig. Siehst du das nicht? Aber ich sehe keinen Wahnsinn in Williams’ Augen, sondern Schmerz. Schmerz verstehe ich. Kummer habe ich während der vergangenen drei Tage ununterbrochen empfunden. Eine Qual, die unerträglich geworden wäre, wenn ich Culebra und Frey auf die Art und Weise verloren hätte, wie Williams Ortiz verloren hat.
Ich trete mit ausgestreckten Händen einen Schritt auf ihn zu. »Ich verspreche es dir. Lass Sophie gehen, und wir holen uns Burke. Zusammen.« Wenn ich meine Bestie entfesseln und ihn zwingen würde, mir das Messer zu geben, würde er sich wehren?
»Tu es nicht.« Sein Blick ist durchdringend. Anscheinend kann er meine Absichten ebenso leicht erkennen, wie er meine Gedanken liest.
»Willst du wissen, warum ihre Vampire anders waren?« Ich weiß nicht, ob ich diesen Themenwechsel ermutigend oder bedrohlich finden sollte, aber ich nicke.
»Das Serum in diesen Spritzen, das ihr Schoßhund Jason den Mädchen injiziert hat. Es hat sie zu genetischen Aberrationen gemacht. Es hat dafür gesorgt, dass ihr Blut das von Vampiren simuliert, ihnen aber nichts von der Kraft oder den Fähigkeiten der Vampire verliehen, die sie hätten schützen können. Sie waren Vampire nur zu dem Zweck, was sie für Burkes Geschäft liefern konnten. Und wenn sie ausgeblutet waren, wurden ihre Leichen weggeworfen wie Abfall. Nur Jason war anders, und selbst er wurde am Ende betrogen. Er war ein Rückfall in die Anfänge der Vampirspezies, geschaffen durch Magie, zerstört durch Sonnenlicht. Schwach. Erbärmlich. Dumm.«
Zum ersten Mal erscheint mir Williams verletzlich. Ich bin ebenso empört wie er über das, was Burke getan hat. Aber das war Belinda Burke, nicht Sophie. Als Vampirin könnte ich ihm binnen zehn Sekunden die menschliche Kehle herausreißen, falls er sich weigern sollte, mir seine eigene Bestie entgegenzusetzen. Aber würde ich das wirklich tun?
Ja, um Sophie zu retten. Ich sammle mich, während Williams mich beobachtet. »Ich kann nicht zulassen, dass du Sophie etwas antust. Das weißt du. Du trauerst um Ortiz. Ich verstehe dich gut. Ich will mich auch dafür rächen. Aber an Burke. Sophie hat ihren Teil der Vereinbarung erfüllt. Sie hat Burkes Fluch gebrochen. Das war es, worum ich sie gebeten hatte.«
»Ich habe sie aber nicht darum gebeten.« Williams’ Stimme donnert durch den beengten Raum. »Ich habe nie versprochen, sie gehen zu lassen.«
Ein leises Stöhnen dringt zwischen Sophies Lippen hervor. Der Laut setzt Williams in Bewegung. Er wirbelt mit gefletschten Zähnen herum, das blutige Messer erhoben. Mehr ist nicht nötig, um den Vampir zu entfesseln. Ich versuche nicht, die Bestie zurückzuhalten. Dazu bleibt keine Zeit mehr. Ich stürze mich auf Williams, und zwar mit voller Kraft. Er fliegt drei Meter weit rücklings durch die Luft und landet auf einem Trümmerhaufen.
Ich wappne mich dafür, ihn erneut vor Sophie abzufangen. Mein Körper macht sich kampfbereit. Williams springt nicht auf. Er schreit nicht und stößt keine Drohungen aus. Er rührt sich nicht. Ich trete mit gebleckten Reißzähnen und einem warnenden Knurren einen Schritt näher heran. Keine Reaktion. Ist das ein Trick?
Ich verwandle mich vom Vampir wieder in einen Menschen, um die Situation besser zu verstehen. Ich sehe einen Menschen mit offenen Augen, aus dessen Brust ein dünner Speer von einem geborstenen Träger hervorragt. Der Blick der offenen Augen richtet sich auf mich, dann trüben sie sich.
Sein Körper windet sich auf dem Pflock, der ihn durchbohrt hat. Williams hat die Bestie nicht entfesselt.
Er ist nicht tot , schreit Deveraux. Bring uns hier raus. Ich weiß, dass er recht hat. Wenn Williams tot wäre, wenn dieser Speer aus Holz und nicht aus Eisen wäre, dann hätten wir jetzt ein Häuflein Asche vor uns. Der menschliche Instinkt drängt mich, ihm zu helfen, der tierische sagt mir, dass ich Sophie in Sicherheit bringen muss, ehe er ihr noch mehr antun kann.
Hat er sie betäubt?, frage ich Deveraux und löse die Seile an Sophies Handfesseln und Knöcheln. Als ich sie wegziehe, sackt sie schwer auf mich.
Er hat ihr etwas in einer Tasse Kaffee gegeben. Ich habe nichts davon geahnt.
Aber auf dich hat es keine Wirkung?
Ich bin vor ihr wieder zu mir gekommen. Das ist wohl auch gut so. Er wollte sie verbrennen. Ich habe es in seinen Gedanken gelesen.
Ich auch. Deshalb will ich sie so schnell wie möglich von hier fortbringen, ehe er sich befreien kann.
Er stellt keine
Weitere Kostenlose Bücher