Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
ich diesem Monster wieder gegenüberstehe. Denn er ist ein Monster. Wenn ich nicht von Anfang an davon überzeugt gewesen wäre, hätte das, was er Lance angetan hat, keinen Zweifel mehr daran gelassen. Erst hat er Lance ausgepeitscht und dann sein Leben bei dem Brand aufs Spiel gesetzt. Seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer lässt die Wut in meinem Magen brodeln wie Säure.
Aber diesmal ist es anders. Vor dem Restaurant war ich nicht vorbereitet und wusste nichts von dem Schmerz, den er anderen zufügen kann. Jetzt weiß ich Bescheid. Jetzt erfüllen mich meine eigenen starken Gefühle – Wut und Rachsucht. Ich muss diese Emotionen ersticken. Underwood darf nicht merken, was tatsächlich hinter meinem Besuch steckt. Keine Zeit. Nicht jetzt.
Underwood tritt beiseite und bittet mich mit einer Geste in seine Bungalow»-Suite«. Heute hat er das Haar nicht zurückgebunden, und es fällt ihm in rötlichgoldenen Strähnen bis auf die Schultern. Er trägt eine Hose, ein Hemd mit offenem Kragen und Gucci-Slipper. In der Enge eines geschlossenen Raums ist sein Eau de Cologne ein Angriff auf meine Nase.
Es ist süßlich, mit starken Noten von blumig und bitter. Am liebsten würde ich so weit von ihm abrücken wie nur möglich. »Ich habe von dem Vorfall bei Lance erfahren.« Das sagt er in einem Tonfall, als hätte er irgendwelchen Klatsch über einen Fremden gehört.
Ich nicke. »Eine Gasexplosion. Der Durchlauferhitzer war undicht.«
»Wurde jemand verletzt?«
»Nicht ernsthaft.«
»Gut.« Sein Lächeln ist beliebig, einstudiert. »Ich bin sehr froh, das zu hören.«
Ich ignoriere die Floskel und sehe mich um. Wir stehen in einem Wohnzimmer mit zwei Flügeltüren, die auf eine Terrasse mit Blick über den See hinausführen. Vor dem See ist noch ein Swimmingpool. Noch mehr Wasser. Um diesen Pool herum aalen sich die fünf Frauen, die Underwood und sein Gefolge ins Melvyn’s begleitet haben. Alle im Bikini, makellos enthaart, wunderschön. Ich frage mich, welche Lance an jenem Abend genossen hat. Bei dem Bild, das von diesem Gedanken hervorgerufen wird, zieht es mir den Magen zusammen. Das Tier in mir windet sich vor Eifersucht.
Schluck sie runter. Dazu ist jetzt keine Zeit. Konzentrier dich. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf meine Umgebung, diesen Raum, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Schlichtes Mobiliar. Ein Sofa in gestreiftem Seidendamast, ein passender Sessel, ein Büfett aus Eiche. Alles ist in gedämpften Creme- und Weißtönen gehalten. Von hier aus kann ich zwei Schlafzimmer sehen, die vom Wohnzimmer abgehen.
»Nette Bude.«
»Danke. Das hier ist mein zweites Zuhause.«
»Sie haben die gesamte Hotelanlage für sich?«
»Ich kenne den Besitzer. Wir haben ein Arrangement.«
»Das glaube ich gern.« Ich wette, dass Underwood alles bekommt, was er will. So oder so. Wie Williams.
Er weist auf den Couchtisch, auf dem zwei Gläser und eine geöffnete Weinflasche stehen. »Würden Sie ein Glas Wein mit mir trinken?« Zwei Gläser? Ich vermute, das zweite war nicht für mich gedacht. Ist er in einem der Schlafzimmer? Ich taste vorsichtig herum, ob ich die Präsenz eines weiteren Vampirs erspüren kann. Aber Williams ist sehr geschickt darin, sich abzuschirmen. Ich ziehe meine Gedanken wieder zurück. Konzentrier dich.
Ich schüttele den Kopf. »Ich kann nicht lange bleiben. Ich bin hier, um Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.« Er legt die Fingerspitzen aneinander und neigt den Kopf zur Seite – eine Geste höflicher Neugier. Doch seine Miene verrät auch Belustigung, als fände er die Vorstellung, dass ich herkomme, um ihm einen Handel vorzuschlagen, ziemlich absurd. Aber genau deshalb bin ich hier. Ich muss Lance und Frey schützen, bis ich herausgefunden habe, was diese Leute von mir wollen. Erst die Erkenntnisse... dann die Rache.
»Ja. Hier ist mein Vorschlag. Ab sofort lassen Sie Lance in Ruhe. Sie werden ihn nie wieder belästigen. Sie werden auch niemand anderen angreifen, der mir am Herzen liegt. Weder meine Familie noch meinen Partner David. Nicht mal den Kassierer in der Waschanlage, die Angestellte in der Reinigung, die meine Sachen entgegennimmt, oder den Verkäufer im Supermarkt um die Ecke. Wenn irgendeiner von diesen Leuten sich auch nur einen Fingernagel abbricht, wird es Ihnen leidtun. Ich werde Sie dafür bezahlen lassen. Haben wir uns verstanden?«
Underwoods Lächeln ist finster und gefährlich. »Und was bekomme ich, wenn ich mich mit diesem Vorschlag
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