Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
Stunde.«
Ich zappele beinahe vor Ungeduld, während die beiden Männer nach oben gehen, sich umziehen, wieder herunterkommen und etwa hundert Anweisungen über Türschlösser und Alarmanlagen geben. Endlich, endlich gehen sie zur Tür. Die Garage ist noch nicht wieder instand gesetzt, deshalb stehen der Jaguar, ein Mietwagen, den Lance sich hat bringen lassen, und Adeles kleiner Prius in der Auffahrt. Die Männer gehen zu dem Mietwagen.
Adele steht neben mir in der Tür, als ich ihnen nachwinke. Alle Blutswirte sind sicher nach Hause gebracht, und sie wirkt müde und erleichtert, dass diese Krise vorbei ist. »Ich würde mich gern ein bisschen zurückziehen«, sagt sie. »Oder brauchen Sie noch etwas?«
»Ja, da wäre eine Sache«, entgegne ich. »Julian Underwoods Adresse.«
Sie sieht mich mit verwundert gerunzelter Stirn an. »Warum?«
»Ich habe am Freitagabend einen Ohrring verloren. Bei Julian. Er hat angerufen, als wir auf dem Heimweg waren, um mir zu sagen, dass er ihn gefunden hat. Da wir morgen früh nach Hause fahren wollen, kann ich ihn nur jetzt abholen.«
Trotz meiner unglaublichen Fähigkeit, Lügen zu improvisieren, wirkt sie nicht überzeugt. »Warum warten Sie nicht, bis Lance wieder da ist? Er kann Sie fahren.«
»Haben Sie gesehen, wie müde er ist? Ich wette, er hat in den letzten achtundvierzig Stunden kaum geschlafen. Wenn er nach Hause kommt, gehen wir beide schnurstracks ins Bett.« Ich lege noch ein Augenzwinkern obendrauf.
Sie wirft mir einen Blick zu, als wollte sie sagen: So genau will ich das gar nicht wissen. Aber sie zögert immer noch. »Sind Sie sicher, dass Sie Autofahren können? Ich könnte Sie hinbringen.«
Ich lächle und tätschele ihren Arm. »Das ist sehr nett von Ihnen. Aber das möchte ich Ihnen nicht zumuten.«
Mit einem Achselzucken gibt sie nach. »Ich schreibe Ihnen die Adresse auf.« Sie holt ein kleines Notizbuch aus einer Konsole in der Nähe der Haustür. In ordentlichen Blockbuchstaben schreibt sie die Adresse auf einen Zettel. »Soll ich Ihnen den Weg erklären?«
»Nein, danke. Ich habe ein Navigationsgerät im Auto.«
Sie wendet sich ab, und obwohl ich es so eilig habe, halte ich sie spontan mit einer Hand auf ihrem Arm zurück. »Ich danke Ihnen, Adele. Für alles, was Sie für mich getan haben.«
Sie nickt und tätschelt meine Hand. »Sie sind gut für Lance. Das kann ich sehen. Es freut mich, dass ich helfen konnte.«
Wir wechseln ein Lächeln, wie man es oft zwischen zwei Menschen sieht, die eine wichtige Gemeinsamkeit verbindet – herzlich, aufrichtig, fürsorglich. Auch sie liebt Lance. Ich schaue ihr nach. Falls mir heute Abend irgendetwas zustoßen sollte, bin ich froh, dass sie hier ist. Nicht dass ich damit rechnen würde. Im Gegenteil, ich gehe davon aus, dass ich heute Abend die Gefahr für Lance und mich ein für alle Mal aus der Welt schaffen kann.
Mit diesem Gedanken im Kopf laufe ich die Treppe hinauf. Ich ziehe mich um – Jeans, T-Shirt, Tennisschuhe. Und schon bin ich zur Tür hinaus. Ich brauche fünfzehn Minuten, um Underwoods Haus zu finden. Ich schaue auf die Uhr. Nicht mehr viel Zeit, wenn ich vor Lance und Frey wieder zu Hause sein will. Ich verliere weitere fünf Minuten, weil sich die Adresse als weitläufige LuxusFerienanlage namens Lake La Quinta entpuppt. Als ich die Lobby erreiche und mich an der Rezeption nach Julian Underwood erkundige, werde ich gefragt, ob ich zu ihm persönlich will oder zu einer seiner GästeSuiten. Offenbar hat er das ganze Ding gemietet.
Ich frage nach ihm und erhalte die Auskunft, er wohne in der Lakeside Suite. Als ich mich in die angegebene Richtung aufmache, höre ich, wie die Rezeptionistin diskret mit Underwood telefoniert. Ohne mein vampirisches Gehör hätte ich das nie mitbekommen. Weite Rasenflächen, üppige Blumenbeete und die Aussicht auf die Santa Rosa Mountains als Kulisse verblassen beim Anblick des »Sees« vor seinem Sommerhaus. Ich weiß nicht, ob er künstlich angelegt oder natürlich ist, aber die Unmenge Wasser in dieser Oase im von Trockenheit geplagten Südkalifornien ist bemerkenswert.
Underwood hat offenbar nach mir Ausschau gehalten, denn er öffnet die Tür, ehe ich klingeln kann. Er wirkt überrascht, mich zu sehen. Überrascht und argwöhnisch. Doch er verbirgt diese Gefühle rasch hinter einer geselligen Fassade. »Anna. Welch unerwartete Freude.«
Den ganzen Weg hierher habe ich mich gegen die Flut von Emotionen gewappnet, mit der ich gerechnet habe, sobald
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