Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
dem Autofahren?«
»Sie hat sich gerade eine spezielle Brille machen lassen – mit einer Filterlinse, die sie selbst entworfen hat. Sie dämpft das Blauspektrum, so dass wir Farben besser unterscheiden können. Bei ihr scheint es zu funktionieren.«
Zum ersten Mal bin ich froh darüber, dass Layla eine Übernatürliche und, so ungern ich das auch zugebe, ziemlich clever ist. »Danke. Wieder mal. Und danke auch Layla von mir.« Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde. Ich schlucke den bitteren Geschmack der Worte herunter und fahre fort.
»Ich rufe Culebra an, damit er weiß, was los ist, und einen Wirt bereithält.«
Wir verabschieden uns. Ich rufe Culebra an und erkläre ihm die Situation. Er hatte noch nichts von Williams’ Tod gehört. Sein Schock schlägt in Bitterkeit um, als ich ihm von Williams’ Frau und ihrer Notlage erzähle. Er mochte Williams nicht und hat ihm nie recht getraut, und diese Abneigung sieht er jetzt bestätigt. Trotzdem sagt er zu, dass alles für Mrs. Williams bereit sein wird, wenn sie ankommt.
Als ich zu Mrs. Williams ins Wohnzimmer zurückkehre, sind die Tränen getrocknet, und sie sitzt aufrechter auf dem Sofa. Sie hat beinahe die Haltung wiedergewonnen, in der ich sie zum allerersten Mal gesehen habe, vor fast einem Jahr. Das war auf einer Party bei Avery. Die Gäste waren eine Mischung aus Vampiren und ihren sterblichen Ehefrauen- und männern. Williams war der Polizeichef und sie die Frau eines Mannes mit hohem Ansehen sowohl in der menschlichen als auch in der übernatürlichen Gemeinde. Sie war sich ihrer Stellung als seine Gefährtin sehr wohl bewusst und fühlte sich wohl damit. Die Krone stand ihr gut.
Auch sie denkt jetzt daran. Ich sehe es in ihrem Geist. Sie ist wütend auf sich selbst, weil sie vor mir solche Schwäche gezeigt hat. Vor der Erzfeindin ihres Mannes, deretwegen er ins Verderben gestürzt ist. Sie bezieht Mut aus der irrigen Vorstellung, wir beide seien einander ebenbürtig. Sie fährt die Vampirklauen aus. Wenn sie mir nicht so leid täte, würde ich ihr zeigen, wie wenig sie mir gewachsen wäre. Sie hat noch eine Menge zu lernen.
Aber nicht von mir. Ich habe weder die Zeit noch die Geduld dazu, sie in das vampirische Dasein einzuführen. Als sie mich durch die Tür kommen sieht, steht sie auf. »Können wir jetzt gehen?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Ich kann Ihnen heute leider nicht helfen.«
Ihr Mund verzieht sich zu einem abfälligen, schmallippigen Lächeln. »Was soll das heißen? Sie müssen mir zeigen, wie das geht. Ich habe noch nie allein getrunken. Sie müssen mir einfach helfen.« Sie steigert sich in eine richtige Tirade hinein, das spüre ich.
Ehe sie anfangen kann, mich zu beschimpfen, hebe ich eine Hand. »Aber ich habe jemanden angerufen, der herkommen und Ihnen helfen wird.«
Ihre Miene hellt sich auf. »Einen Wirt?«
»Nein. Einen Gestaltwandler, der Sie an einen Ort bringen wird, wo Sie sicher und gefahrlos trinken können.«
Das Stirnrunzeln ist wieder da. »Sie wollen mich nicht begleiten?«
»Ich kann nicht. Ich muss mich um andere Dinge kümmern.« Dinge, für die Ihr Mann verantwortlich ist, würde ich am liebsten hinzufügen.
Diese Erwiderung passt ihr gar nicht. Ihr Körper ist ganz steif vor Protest. Das ist mir egal. Wir starren einander ein paar Sekunden lang an, ehe sie den Blick abwendet. Ihr Verlangen nach Blut ist stärker als das Verlangen, mit mir zu streiten. Sie fürchtet, wenn sie mich allzu sehr bedrängt, könnte ich sie hinauswerfen, und dann müsste sie allein zurechtkommen. Sie ist nicht bereit, das auch nur zu versuchen.
Sie sieht mich wieder an. Sie ist überzeugt, dass sie bald so weit sein wird. Der Drang, sie anzulächeln, ist stark. Ihr ist nicht klar, dass sie für mich so leicht zu lesen ist wie ein Abc-Buch. Jetzt verstehe ich, warum ein Mann wie Williams es vorzog, seiner Frau die Fähigkeit zu verheimlichen, in ihre Gedanken einzudringen. Was könnte einem mehr Autorität und Einfluss verleihen, als zu wissen, was sie denkt und fühlt? Und es dann mit dem zu vergleichen, was sie ihm über ihre Gedanken und Gefühle vielleicht sagt.
Das ist ein mächtiges Mittel der Kontrolle. Und Williams ging es immer genau darum – Kontrolle.
Kapitel 27
Mrs. Williams und ich warten schweigend auf Frey. Ich halte meine Gedanken vor ihr verborgen, nur für den Fall, dass sie dahinterkommen würde, warum sie mich in ihrem Kopf gehört hat. Sie ist nicht dumm. Ihr Mann hat sie über
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