Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
Tod gespielt hat. Da Mrs. Williams hier war, hatte ich keine Gelegenheit, mit ihm darüber zu sprechen. Und was würde es jetzt noch bringen, außer dass er einen neuen Grund hätte, sich Sorgen um mich zu machen?
Ich winke ihm nach und beobachte, wie der Wagen abfährt. Mrs. Williams starrt mich mit entschlossener Miene vom Rücksitz aus an. Sobald sie weg sind, wende ich meine Gedanken den nächsten Schritten zu. Ich kenne nur eine Möglichkeit, Kontakt zu Underwood aufzunehmen – sein Feriendomizil in La Quinta. Ich brauche nur einen Moment, um die Nummer herauszufinden, und einen weiteren, um sie zu wählen.
Ich hätte mir denken können, dass es so einfach nicht sein würde. Die Rezeptionistin sagt mir, dass Underwood gestern Nachmittag ausgecheckt hat. Natürlich. Mir nicht seine Handynummer geben zu lassen, war ein dummer, nachlässiger Fehler von mir. Ich habe mich auf Williams als Kontakt verlassen. Jetzt kann ich nur abwarten, bis Underwood Kontakt mit mir aufnimmt. Was ein Problem ist. Es dürfte schwierig werden, mich allein abzusetzen, solange Lance bei mir Wachhund spielt. Ich hatte gehofft, Williams gestern oder heute Morgen treffen zu können, ehe Lance zurück ist.
Scheiße. Nichts ist jemals einfach.
Bis zum Mittag habe ich noch zwei Stunden totzuschlagen, und die Rastlosigkeit senkt sich wieder auf meine Schultern wie ein bleiernes Joch. Wenn ich ins Büro fahre, könnte mich wenigstens der eine oder andere Anruf eines potenziellen Auftraggebers ablenken. Ich komme rasch zu dem Schluss, dass alles – sogar Arbeiten – besser ist, als hier herumzusitzen.
Das Büro liegt außerdem näher am Flughafen, was praktisch ist. Ich hinterlasse eine Nachricht auf Lances HandyMailbox, damit er weiß, wo er mich erreichen kann, wenn er gelandet ist. Fünf Minuten später bin ich unterwegs. Es ist einer dieser traumhaften Tage im sonnigen San Diego, wie auf einer Postkarte. Das Wasser glitzert, der blaue Himmel strahlt wolkenlos, und der Hafen ist so voller Boote, dass man von einem schwimmenden Stau sprechen könnte.
An einem solchen Tag ist es eine Freude, am Wasser zu sein. So geht es mir selbst hier, auf der Terrasse hinter unserem Büro. Vielleicht sollte ich mir ein Boot kaufen. Auf einem Schiff könnte sich niemand an mich heranschleichen. Lance und ich könnten irgendwo in der Bucht ankern und Underwood und sein Gequatsche über Schicksal und Bestimmung am Ufer zurücklassen. Wenn ich den Jahrestag meiner Verwandlung einfach unbemerkt verstreichen ließe, würden vielleicht auch irgendwelche Prophezeiungen ausfallen. Soll doch irgendeine andere arme Seele das Mäntelchen der Auserwählten anlegen.
Williams mag tot sein, aber was er hinterlassen hat, ist ebenso eine Last wie Averys Erbe. Eigentlich sollte ich Trauer darüber empfinden, dass ein zweihundert Jahre alter Vampir gerade zu Asche zerfallen ist, aber ich kann meine Feindseligkeit nicht überwinden. Wenn er von Anfang an ehrlich zu mir gewesen wäre, dann wäre er jetzt nicht tot. »Williams, du Drecksack. Das ist alles nur deine Schuld.«
»Führst du jetzt schon Selbstgespräche?« Die Stimme direkt neben meinem Ellbogen erschreckt mich so sehr, dass die Vampirin vor der menschlichen Anna reagiert. Ein Knurren mit gefletschten Zähnen, und ehe mein Hirn registriert, zu wem die Stimme gehört, habe ich einen Hals in beiden Händen. Lance. Er ist hier. Wohlbehalten. Ich lasse die Hände von seinem Hals auf seinen Rücken gleiten und ziehe ihn an mich.
»Verdammt noch mal, Lance, du hast mich furchtbar erschreckt. Du wolltest doch anrufen, wenn du gelandet bist.«
Er presst sich an mich. »Es ist nur ein Sprint von zehn Minuten vom Flughafen hierher. Mit dem Auto würdest du länger brauchen.«
Seine Lippen sind so nah, seine Körperwärme steigt so plötzlich an, dass ich mich energisch zur Ordnung rufen muss, um ihm nicht die Kleider vom Leib zu reißen und gleich hier auf der Terrasse über ihn herzufallen. Stattdessen beherrsche ich mich, ziehe ihn ins Büro, wische alles von Davids Seite des Schreibtischs auf den Boden, und wir fallen drinnen übereinander her.
Das Geräusch sich nähernder Schritte bringt uns plötzlich zur Vernunft und lässt uns schneller hochschießen als ein Eimer Eiswasser. Lance und ich sehen einander an und schauen dann zur Tür, die wir in unserer Hast nicht abgeschlossen haben. Das hier sind immerhin Geschäftsräume. Gut, dass wir so schnell sind. Kichernd wie die Schulkinder springen wir in unsere
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