Anna Strong Chronicles 06 - Gesetz der Nacht
darunter herrschen. Königin des Donners und der Winde und Hüterin des Sturms. Geliebt von ihren Dienern, die sich hier um sie versammeln, und ihrem Gefährten Maju.
Maju?
Tempo und Melodie des Gesangs verändern sich. Jetzt rufen sie Maju an, Maris Gemahl, ihren Gefährten. Es ist Zeit, verkünden die Worte, Zeit, die Prophezeiung zu erfüllen. Zeit, den Himmel erbeben und die Unterwelt erzittern zu lassen. Zeit, Mari und Maju aus dem Dunkel zu holen und ins Licht zu bringen. Zeit für sie, ihren rechtmäßigen Platz als Herrscher aller Welten einzunehmen. Zeit, ihre Vermählung erneut zu vollziehen, auf dass die Herrschaft der Sorginak beginne. Zeit für die beiden Liebenden, sich nach fünfhundert Jahren wiederzuvereinen. Liebende?
Eine Hand hebt den Schleier an und schiebt ihn von meinen Knöcheln hoch bis zur Taille. Nein. Etwas Scharfes, Klauenartiges streicht über die Innenseite meiner Oberschenkel. Es kitzelt und brennt zugleich. Ich versuche, danach zu treten. Hände packen meine Knöchel. Jemand schiebt mir etwas unter den Hintern, so dass mein Rücken durchgebogen wird. Nein. Eine weitere Hand packt mich an der Taille und zieht mich nach vorn.
Um uns herum ist es still geworden, der Gesang ist verstummt. Jetzt höre ich andere Laute. Schweres Atmen und lustvolles Stöhnen. Der Geruch von Sex vermischt sich mit dem Weihrauch. Die Leute um uns herum verschaffen sich Lust, während sie uns zuschauen. Erinnerungen strömen auf mich ein. Vor einem Jahr, auf dem Rücksitz eines Wagens, Donaldson schlägt mich bewusstlos. Als ich aufwache...
Eine Stimme dicht an meinem Ohr holt mich zurück.
»Kämpf nicht dagegen an, Anna. Du bist Mari, eine Göttin. Dazu bestimmt, in alle Ewigkeit an meiner Seite zu herrschen. Gib dich mir hin. Bereitwillig. Du hast nichts zu verlieren und die ganze Welt zu gewinnen. Ich werde gut zu dir sein. Ich werde dir alles geben.«
Ich zwinge mich, unter seinem Gewicht still zu liegen. Zwinge mich, seine Hände auf mir zu ertragen, die den Schleier höher schieben und meine Brüste umfangen. Zwinge mich immer noch, still zu liegen und das Gefühl zu ertragen, wie er sich an mich presst und mir die Beine spreizt, um in mich einzudringen. Ich zwinge mich zu warten, bis ich einen klaren Kopf habe. Bis ich wirklich stark genug bin.
Ich konnte mich gegen Donaldson nicht wehren, konnte die Veränderungen nicht verstehen, die der Austausch von Blut zwischen uns beiden bewirkte. Das hier ist nicht Donaldson. Konzentrier dich. Nimm all deine Kraft zusammen. Ich spüre, wie sie sich in mir spannt. Immer fester, wie eine Feder.
Er versucht seinen Schwanz in mich hineinzurammen. Ich spanne alle Muskeln an, winde mich und hindere ihn daran. Er wird wütend. Er flucht. Seine Hände packen mich bei den Hüften und ziehen mich zurück, wieder in die Höhe. Er wird nicht aufhören. Ich werde ihn dazu bringen, aber ich brauche Hilfe.
Erst rufe ich nach Lance. Nur Stille antwortet mir. Ein letzter Funken Bedauern erlischt rasch. Dann rufe ich nach der Vampirin. Ich rufe das Tier in mir. Ich weiß, dass sie mich hört. Sie kämpft. Sie ist verzweifelt, rasend vor Zorn. Da passiert es. Die Vampirin zerreißt die Ketten unserer Betäubung. Ihre Stimme, meine Stimme, stößt einen urtümlichen Wutschrei aus, der in einer Höhle widerhallt wie ein Donnerschlag. Ich reiße die Augen auf, und diesmal kann ich sehen.
Ich zerre an den Fesseln um meine Handgelenke. Sie geben nach. Erschrockene Schreie um mich herum. Als Underwood den Kopf hebt, bleibt ihm nur ein kurzer Augenblick, um überrascht dreinzuschauen. Nur ein Augenblick, ehe ich ihm die Kehle herausgerissen habe. Nur ein Augenblick, ehe ich ihn bis auf den letzten Tropfen leergetrunken habe.
Kapitel 30
Stille, absolute, vollkommene Stille. Ich setze mich auf und stoße die ledrige Hülle von mir, die einmal Julian Underwood war. Meine Zähne sind gebleckt. Mein Blick schweift über die schockierten Gesichter um mich herum. Zwölf Gesichter. Männer und Frauen. Sie stinken nach Sex und diesem süßlichen Zeug. Weihrauch. Underwoods Eau de Cologne. Derselbe Geruch. Alle sind nackt. Die Frauen haben dicke Bäuche und hängende Brüste, die Männer schlaffe, wabbelige Arme und schrumpelnde Glieder. Als sie meinem Blick begegnen, weichen sie zurück bis an die Wand einer...
Ich schaue mich um. Wir sind in einer Höhle. Ich lasse den Blick noch einmal herumschweifen. Wo ist er? »Lance!« Der Name entreißt sich meinen Eingeweiden, voller Zorn
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