Anna und Anna (German Edition)
alles richtig gemacht, ihrem Jan und seinem Vater bei der Versöhnung geholfen, und hat doch selbst nichts dabei gewonnen. Ja, so geht’s manchmal.
Aber das konnte ich ihr in dem Moment nicht sagen.
»Mein lieber Schatz«, tröstete ich sie stattdessen. »Fernbeziehungen sind eben nicht einfach. Da kann es schon vorkommen, dass man sich jedes Mal wieder neu aneinander gewöhnen muss. Und die Nähe wieder neu herstellen. Du hast ihn doch auch verändert gefunden! Vielleicht ging ihm das ebenso.«
»Meinst du?« Hoffnungsvoll hat sie mich angesehen.
Ich habe genickt.
Und unter dem Tisch weiter ganz heftig die Daumen gedrückt.
Das könnte glatt Narben hinterlassen.
Aber die bin ich absolut bereit zu riskieren.
Anna
Lieber Henri,
du hattest recht. Ich habe ihnen Weihnachten ruiniert. Ich fühle mich furchtbar!
Und weil sich auch alle anderen furchtbar fühlen, Bella in Panik ausgebrochen, Ben in brütendes Schweigen verfallen und Anna nach einem waidwunden Blick, der ganz deutlich »Auch du, Brutus?« sagte, türenschlagend verschwunden ist, habe ich mich auf mein Zimmerchen zurückgezogen. Wie ich mich jetzt hier so richtig schön verlassen und, ja, auch schuldig fühle, fängt es endlich an zu schneien.
Dicke Flocken fallen vom Himmel. Sie wirbeln um das Menschlein herum, das allein auf der Gartenmauer sitzt und, während ich zusehe, langsam eingeschneit wird. Alles an Anna, der gesenkte Kopf, die hochgezogenen Schultern und wie sie sich selbst umarmt hält, schreit: Ich bin so traurig, dass es wehtut!
Bringt es Unglück, am Weihnachtstage zu weinen? Dann haben Bella, Anna und ich für das neue Jahr jede Menge rabenschwarzer Tage heraufbeschworen.
Als ich sagte: »Henri und ich gehen am siebten Januar auf Weltreise«, fiel ein profundes Schweigen über die eben noch so muntere Gesellschaft unter dem Weihnachtsbaum.
Benni hielt die Stille für einen Ausdruck reiner Überraschung, fasste sich schnell und rief: »Prima, Oma. Bringst du mir was mit?«
»Auf jeden Fall, mein Schatz«, versicherte ich ihm.
Ben sah seine Frau an. Ich glaube, er suchte nach einem Hinweis, wie er sich verhalten soll. Da er keinen fand, sagte er: »Das ist schön, Anna B. Ich freue mich für dich.«
Bella griff nach seiner Hand. Sehr haltsuchend sah das aus. »Ja, Mutti«, sagte sie und blinzelte, ich habe es genau gesehen, gegen Tränen an. »Ich mich auch. Aber«, sie stockte, würgte an den nächsten Worten oder an dem Kloß in ihrem Hals und senkte den Blick, als sie schließlich herausbrachte: »kriegst du das denn auch hin?«
Ich lächelte, so zuversichtlich ich konnte. »Ich nehme meine Medikamente, ich gehe regelmäßig zum Arzt und ich melde mich bei euch sogar noch viel regelmäßiger zum Rapport.« Ich sah meine kleine Anna an. »Ich schreibe auch ganz oft.«
Das war der Moment, in dem meine kleine Anna aufsprang und aus dem Zimmer rannte. Die Haustür fiel so heftig hinter ihr ins Schloss, dass ich meinte, das ganze Gemäuer wackeln zu spüren.
Benni streichelte mir tröstend das Knie. »Das ist nur die Pubertät«, erklärte er mir mit verschwörerisch gesenkter Stimme.
Ich bin mir da nicht so sicher. Und deshalb schreibe ich jetzt noch einen Brief.
Zerknirscht, Anna
Mein lieber Anna-Schatz,
eigentlich wäre das ein Fall für unseren toten Briefkasten. Ich hatte das Vogelknöchelchen sogar schon in der Hand, aber dann dachte ich, da wir die Kommodenschublade eine Weile nicht mehr genutzt haben, sei es sicherer, ich legte dir diese Zeilen einfach auf dein Kopfkissen. Damit du sie ja findest. Und liest. Denn lesen musst du sie, bitte.
Es tut mir leid, mein lieber Schatz.
Es betrübt mich auch! Ich geh nicht gern fort von dir. Aber ich muss einfach gehen.
Erinnerst du dich noch, wie wir über die Erinnerungen sprachen? Du hattest ja recht, ich muss noch neue schaffen. Ich will sogar. Ganz dringend!
Das nimmst du mir doch nicht übel, nein?
Bittet dich deine dich liebende Oma B.
Liebe Oma,
das ist nicht fair.
Ja, ich bin total fürs Erinnerungenschaffen.
Aber wie soll ich denn welche schaffen, in denen du vorkommst, wenn du gar nicht da bist?
Sag mir das?!
Anna
Mein Schatz,
weißt du, so wie eine Mutter ihr Kind loslassen muss, auf dass es am Leben wachse und gedeihe, und eine Oma ihr Enkelchen mit guten Ratschlägen gefüttert in die Welt hinausschickt, muss vielleicht auch das Enkelchen seine Oma ziehen lassen.
Nicht für immer. Nur
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