Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
die schmale Brust nach vorne, räusperte sich und sagte mit fester Stimme: „Ich habe ihn im Toten Wald gefunden.“
„Du hass-st ihn den Schwertvögeln abgenommen.“
„Ich hörte, wie sie sich wegen eines Drachen stritten. Ich hatte noch nie einen in der Oberwelt gesehen. Also griff ich zu.“
Die Schlange neigte den Kopf zur Seite und warf ihr einen abschätzigen Blick zu. „Was-s willss-st du mit ihm anfangen?“
Anna zuckte die Schulter. „Keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, dass er wichtig ist.“
„Wichtig wofür? Was wills-st du tun?“
„Ich weiß nicht.“
„Du lügs-s-st.“
Die Jungmagierin reckte das Kinn höher, richtete die Schulter gerade, sah ihrer Gegnerin direkt in die gelben Telleraugen und verkündete mit bemüht sicherer Stimme: „Ich kenne dich nicht. Und ich bin nicht so blauäugig, dass ich Fremde in meine Angelegenheiten einweihe, nur weil sie danach fragen.“
„Gut, das lässt sich ändern. Ich sage dir, wer ich bin. Dann beantwortest du mir meine Frage.“ Die Schlange richtete einen bohrenden Blick auf sie. Er schien bis ins Knochenmark durchzugehen.
„Wer garantiert mir, dass du die Wahrheit sagst?“ In ihrem Inneren zitterte alles, sie sah die Schlange aber trotzig an.
Diese fuhr plötzlich den Kopf dicht vor ihre Nase. „Werde nicht frech, Mäuss-schen. Lügen macht keinen S-sinn, weder für dich noch für mich-ch.“ Sie nahm den Kopf etwas zurück und sagte: „Ich bin Scharta, die Hüterin des Wissens.“
„Was für ein Wissen ist hier gemeint?“
„Es geht um die gesamte Andere Welt. Alles, was in der Oberwelt, aber auch in der Unterwelt passiert, trage ich zusammen. Das Wissen wird in einem Buch festgehalten.“
Anna guckte über die Schulter zum Aufsteller hin, auf dem der kleine Drache stand. „In diesem?“
„Ja.“
„Es sieht so alt aus.“
„Es ist das Buch des Wissens.“
Die Jungmagierin blickte sie verdutzt an. „Aber da ist nichts: keine Bilder, keine Buchstaben, keine Zeichen. Da sind nur leere Seiten!“
„Wenn du es nicht sehen kannst, heißt es noch lange nicht, dass das Buch leer ist.“
„Ach so ...“, stammelte sie verwirrt.
„Das Wissen, das darin steckt, ist kostbar“, fuhr Scharta fort. „Das darf nicht in die falschen Hände geraten. Das wäre zu gefährlich.“
„Verstehe. Man muss eine bestimmte magische Formel dazu wissen oder so was in der Art?“ Sie blickte die Hüterin des Wissens fragend an.
„Oder so etwas in der Art.“ Sie langte mit der Spitze ihres Körpers zum kleinen Drachen und setzte ihn in die Schale einer der Fackeln. Ein Feuerwerk aus leuchtenden Fünkchen fiel auf den Sandsteinboden.
Anna sah mit weit aufgerissenen Augen zu der Fackel hin, dann zur Schlange, schnappte nach Luft und stammelte: „Tut das ihm nicht weh?“
„Ganz im Gegenteil. Das Feuer gibt ihm Kraft.“
„Bleibt zu hoffen“, murmelte Anna. Eine leichte Bewegung hinter ihrem Rücken ließ sie sich umdrehen.
Eine Seite des alten Buches legte sich um. Es sah aus, als ob es sich selbst schrieb. Zeile für Zeile erschienen dort auf einmal seltsame Zeichen, die Anna nicht ansatzweise deuten konnte. Als die Seite voll war, schlug sich die nächste von selbst auf und fing an, sich von oben links zu füllen.
Die Jungmagierin warf einen verwunderten Blick auf die Schlange. „Machst du das?“
„Nein. Das Buch schreibt sich von allein. Das weiß, was zu tun ist.“
„Unglaublich“, flüsterte sie erstaunt. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Schartas Augen blickten sie mit einem Anflug von Spott an. „Du hast ziemlich vieles noch nicht gesehen.“
Anna sah verlegen zu Boden und schwieg.
„Und jetzt erzähl mir, was du mit dem kleinen Drachen anfangen willst“, verlangte die Hüterin des Wissens. „Du hast dich doch nicht einfach aus Spaß auf die blutigen Kämpfe mit den Schwertvögeln eingelassen.“
Sie blickte auf. „Woher weißt du das?“
„Nicht so wichtig.“ Die Schlange machte eine wegwerfende Bewegung mit der Spitze ihres Körpers. „Erzähl, was du mit ihm vorhast.“ Sie legte ihren Kopf auf einen der quergestellten Ringe und sah sie fragend an.
Anna lehnte sich mit dem Rücken an den Aufsteller mit dem dicken Buch, starrte auf den Boden, atmete tief durch, dann hob sie ihren Blick wieder und sagte: „Die jetzige Situation ist untragbar. Alles geht den Bach runter. Das ist für dich sicher nichts Neues. Ich vermute, du weißt besser als ich, wie es um die Oberwelt steht. Und jetzt auch
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