Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
nicht mehr abfertigen! Ich muss etwas gegen all diesen Unfug tun! Und zwar so schnell, wie es nur geht.“
Schweigen hing wieder in der Luft. Nur das Schnalzen der bläulichen Flammen in den Fackeln unterbrach es. Anna sah die Hüterin des Wissens fragend an. „Kannst du … willst du mir helfen? Weißt du, warum die Oberwelt stirbt? Was man dagegen tun kann? Hast du eine Ahnung, wie ich Oma wieder zurückbekomme?“
Scharta schwenkte ihren silbern schimmernden Kopf nachdenklich von einer Seite zur anderen. „Zu viele Fragen auf einmal.“
„Fang einfach mal mit irgendeiner an.“ Die Jungmagierin durchbohrte sie mit einem durchdringenden Blick.
„Es ist eine lange Geschichte, voller Geheimnisse, die nicht mir gehören.“ Die Schlange sah wieder ins bläuliche Feuer der Fackeln. „Außerdem kenne ich dich nicht.“
„Das macht nichts. Du kannst mich später kennenlernen. Ich muss jetzt alles wissen, damit ich diese bescheuerte Lage endlich ändern kann. Erzähl mir, was du weißt. Ich verspreche dir, dass ich dieses Wissen ausschließlich für das Wohlsein der Oberwelt nutzen werde.“
„Kein schlechter Anfang.“ Die Hüterin des Wissens warf ihr einen anerkennenden Blick zu. „Die Frage ist, ob ich dir vertrauen kann. Du bist ja keine, die seit Generationen in der Oberwelt zu Hause ist. Du bist bekannterweise ein Mädchen aus der Menschenwelt. Deine magischen Fähigkeiten sind größtenteils angelernt. Und ich weiß nicht, ob ich mich auf dich verlassen kann. Wenn es eng für dich wird, kann es sein, dass du alles hinschmeißt und einfach in deine Heimat fliehst. Oder noch schlimmer, dass du uns verrätst.“
Anna guckte verdutzt, ihre Wangen röteten sich, die Augen funkelten vor Aufregung. Sie schnappte nach Luft und sagte in bemüht ruhiger Stimme: „Die Oberwelt ist mein Zuhause. Ich bin dort aufgewachsen und habe bei Alphira fleißig gelernt. Ich war von Anfang an ihre rechte Hand. Und seitdem sie mich vor über zwei Sommern eingeweiht hat, bin ich eigenständige Jungmagierin. Ich habe mich auch weiterhin zusammen mit Alphira um das Wohl der Oberwelt gekümmert, habe bestimmte Aufgaben von ihr übernommen, die sie zeitlich oder anderswie nicht schaffte.“ Sie blickte direkt in die gelben Telleraugen, die sie interessiert musterten, und setzte hinzu. „Es gibt für mich keinen anderen Ort, wo ich leben möchte. Und Fliehen ist nicht meine Art, mit Problemen umzugehen. Außerdem bin ich nicht irgendein Mädchen. Ich bin Enkelin einer großen Schamanin. Das dürfte auch eine Rolle spielen.“
„Glaubst du, das reicht?“ Ein Hauch von Ironie klang aus Schartas Stimme heraus.
Anna schnaubte. „Seit geraumer Zeit kann ich nicht mehr schlafen. Schaurige Bilder laufen vor meinem inneren Auge ab, das eine schlimmer als das andere. Ich will wissen, was das alles soll!“ Ihre Stimme brach ab. Sie räusperte sich, fuhr dann gefasster fort: „Diese Ungewissheit, dieses Herumhängen in der Luft macht mich einfach wahnsinnig. Was ich nicht weiß, werde ich erfahren, was ich nicht kann, werde ich lernen. Bloß nie wieder dastehen und nichts unternehmen können! Ich bin mittlerweile so weit, dass ich alles tun würde, um die Oberwelt wieder so zu sehen, wie sie einmal war.“
Die Schlange wiegte langsam ihren Kopf von links nach rechts, sprach dann leise, mit Betonung auf jedem Wort: „Du bist stur, unbeherrscht und aufbrausend. Deine magische Kraft hält sich in Grenzen und du hast nicht so recht eine Ahnung, wie du damit umgehen sollst. Alphira kann dir auch nicht mehr weiterhelfen. Das sind nicht die besten Voraussetzungen für einen Kampf mit jemandem, der Kraft, Macht und Reichtum im Überfluss hat und sein Fach bestens beherrscht.“
„Das mit stur, das hat Oma auch oft gesagt“, nickte Anna und lächelte beseelt. „Aber das kann auch ein Vorteil sein. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, lasse ich es nicht so schnell los.“
„Wenn du diesen Weg einschlägst, gibt es kein Zurück mehr. Und es ist gut möglich, dass du schneller, als du glaubst, dem Tod ins Gesicht schauen wirst.“
„Kein Problem“, entgegnete die junge Frau fast fröhlich. „Dann weiß ich, wie er von nahem aussieht, das erzähle ich dir dann später.“
„Ich will es nicht so genau wissen“, zischte die Schlange und wandte sich den flackernden Fackeln zu.
„Gut, dann behalte ich es für mich. Und lass uns anfangen. Ich will alles wissen. Alles. Ohne Ausnahmen.“
„Alles ist zu viel auf einmal.“
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