Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Drache gehörte.“
Die Jungmagierin blicke die Schlange fragend an, die sich nun an der Wand unter den Fackeln zusammenrollte. „Weißt du, zu welcher Familie dieser Drache gehörte?“
„Ich kann es vermuten.“ Die Hüterin des Wissens stellte ihren Kopf abwechselnd vor jede der Fackeln. Das blaue Feuer wurde mal größer und heller, mal verschwand es fast vollständig.
„Du weißt etwas und sagst es mir nicht! Das ist nicht fair!“
„Das kann er dir auch selbst erzählen“, sagte die Schlange gelassen und deutete mit ihrem Blick auf den kleinen Drachen.
„Kann er reden?“
„Frage ihn einfach. Besser nicht so viel auf einmal. Und höre ihm gut zu.“
Anna sah in die klaren Augen der roten Figur und sagte: „Hallo du kleiner Drache! Kannst du mir etwas von dir erzählen? Zu welcher Familie du gehört hast und was du dort gemacht hast, zum Beispiel? Warst du so was wie ein Spielzeug? Oder ...“
Sie hörte plötzlich eine Stimme im Kopf, die leise und rau klang, wie von jemandem, der lange nicht mehr gesprochen hatte. Sie schloss die Augen und hörte aufmerksam zu.
„Ich gehöre zu einem Jungen aus einer sehr alten und ehrbaren Drachenfamilie. Er heißt Ian. Er spielte oft mit mir in seinem Familienhaus vor dem Kamin, in dem immer ein großes blaues Feuer loderte. Jedes Kind bekam seinen eigenen kleinen Drachen zum dritten Geburtstag. Und wir waren nicht nur Spielkameraden. Wir hatten eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.“ Der Drache blinzelte, seine Augen leuchteten stolz auf. „Wir waren so etwas wie die persönlichen Schutzgeister und Begleiter der Kinder einer Sippe. Wir klärten das Drachenkind über die wichtigen Sachen auf und schützten es, bis es soweit war, also, bis es als Jungdrache zusammen mit den Erwachsenen in die Lüfte steigen konnte und seinen ersten Drachentanz mit den Großen vollführte. Dann war unsere Mission zu Ende.“ Er blickte etwas traurig und ließ eine kleine Dampfwolke seinen Nüstern entweichen.
„Hatten denn alle solch schöne Augen wie du?“
„Wir waren schon immer aus gebrannter Erde, oft aus rotem Ton gemacht. Die Augen waren das Besondere an uns. Diamanten mit unzähligen Facetten waren meist bei den alten Familien mit mehreren Generationen üblich, weil sie sich am besten für die Aufzeichnungen eigneten. Jede Facette barg eine Geschichte aus dem Leben des Drachenkindes, zu dem wir gehörten. Es stellte auch ein wichtiges Ereignis für die gesamte Familie dar. Wir behielten alles Wichtige als Erinnerungen in unseren Augen.“
„Das ist ja spannend!“
„Das war erforderlich, um unserer Aufgabe gerecht zu werden. Am Anfang war es recht unterhaltsam und lustig. Wenn die Kinder mit uns spielten, erzählten wir etwas Wissenswertes aus der Vergangenheit der Familie oder der Oberwelt insgesamt. Wir berichteten über die Heldentaten ihrer Vorfahren, über ihre aufregenden, meist gar nicht so wenigen Abenteuer. Wir erzählten aber auch über ganz andere Dinge, zum Beispiel, wer was von den Vorfahren besonders gerne tat und warum. So wusste ein Urenkel, warum sein Urgroßvater ein Bauer oder ein Viehzüchter oder auch ein Bildhauer war. Von uns lernten die Kinder ganz nebenbei, zu welcher Familie sie gehörten, welche Rolle die Familie in der Drachengesellschaft und in der Geschichte der Oberwelt spielte und was für eine Zukunft für das Kind angedacht war.“
Anna machte große Augen und schnappte nach Luft. „War das Leben eines Drachenkindes etwa im Voraus von seiner Sippe bestimmt? Musste es dann das tun, was jemand aus der Familie für ihn entschieden hatte?“
„Nicht unbedingt“, erwiderte der kleine Drache und machte dabei eine wegwerfende Bewegung mit dem rechten Flügel. „Es gab keinen Zwang. Es war lediglich eine Hilfestellung. Und oft fanden die jungen Leute die für sie angedachten Rollen gut und richtig. Sie waren damit zufrieden und füllten sie ihr Leben lang aus.“
„Und wenn nicht?“
„Keiner hat sie je dazu gezwungen. Jeder tat, was er für richtig hielt. Das war eine unumstößliche Regel.“
„Nun, das ist alles Geschichte, soweit ich es überblicke. Du sprichst aber von dem Jungen, zu dem zu gehörst, als wenn er noch lebt.“
„Es ist ganz offensichtlich, dass er lebt.“ Der Drache ließ eine kleine Dampfwolke aus seinen Nüstern entweichen.
„Und woran erkennt man das?“
Seine Stimme gluckste, als ob er auflachte: „Weil ich da bin und mit dir rede.“
Die Jungmagierin runzelte die Stirn. „Verstehe ich
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