Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Gesicht.
Sie zuckte die Achseln. „Ich habe mein Leben so eingerichtet, dass all diese Sachen, die mich wahnsinnig machten, mir fern blieben. Ich konnte eh nichts daran ändern. Alles, was mich interessierte, waren meine Kräuter, Mixturen, Salben und was sie bewirken konnten. Hier hatte ich genug Gelegenheiten, es auszuprobieren. Mit der Zeit hatte ich mehr Kunden. Das Geschäft lief immer besser. Mir ging es gut. Ich hatte alles, was ich brauchte. Also war ich mit meinem Leben mehr als zufrieden.“
„Warum hast du den Auftrag von Viola überhaupt angenommen? Du hättest es gar nicht tun brauchen. Du hast doch mit der Oberwelt Schluss gemacht. Es dürfte dir doch egal sein, was sie für Probleme hat.“
Die Alte schüttelte den Kopf, drückte den glühenden Stummel aus, hustete ausgiebig und sagte: „Das konnte ich einfach nicht. Ich hatte kein Recht, ihren Auftrag abzuschlagen. Ich war ein Teil der Familie, ob es mir später passte oder nicht. Solche Sachen bleiben für immer und ziehen Verpflichtungen nach, ob man es will oder nicht. Auch die Menschenwelt und mein Leben hier konnte nichts daran ändern. Ich war dort eine einfache Hexe. Und die bin ich auch hier geblieben.“ Sie schob ihre Töpfe in die Mitte der Herdplatte zurück, nahm den langen Holzlöffel in die Hand und richtete den Stiel auf ihn. „Deine Familie dagegen war etwas …, wie soll ich es sagen ...“, sie ließ einen suchenden Blick um ihre Küche schweifen, als wenn sie irgendwo dort, auf einem ihrer Regale, vollgestopft mit trockenen Kräutern, Rinden und Gläsern das passende Wort dafür finden konnte. „Also man kann deine Familie so etwas wie Adel bezeichnen, wenn man diese Verhältnisse mit den Begriffen der Menschenwelt beschreiben wollte“, sagte sie schließlich. „Sie gehört zu den mächtigsten und ältesten Sippen des Drachengeschlechts und somit der Oberwelt insgesamt. Deine Familie gibt es seit mindestens vierundzwanzig Generationen. Du bist einer aus der Fünfundzwanzigsten. Ein einziger. Der Letzte, so zu sagen. Es gab sonst immer viele Kinder in den Drachenfamilien.“
Sie schwieg eine Weile, zündete dann eine neue Zigarette an und fuhr fort: „Jedenfalls, jemand ohne Rang und Namen wie ich kann nicht den Wunsch der Stammhalterin einer der ältesten und mächtigsten Drachenfamilie der Oberwelt abschlagen, besonders wenn es ums Überleben ihres einzigen Enkelkindes geht. Außerdem, Drachen spielten immer eine wichtige Rolle dort.“ Sie fing an, wieder in den Töpfen zu rühren.
Ian sah sie von unter zusammengeschobenen Brauen an. „Verstehe ich nicht. Du bist doch ihre Schwester. Du dürftest mindestens genauso bedeutend sein wie sie.“
„Gar nicht wahr.“ Die Alte schüttelte kräftig den Kopf. „Ihre Familie nahm mich bei sich auf, als ich mit etwa fünf Jahren bei ihnen vor der Tür stand und keiner wusste, woher ich gekommen war. Da ich meinen Namen nicht sagen konnte, nannten sie mich Barbara und zogen wie ihr eigenes Kind auf. Aber lassen wir das. Das ist eine ganz andere Geschichte. So oder so, absagen konnte ich einfach nicht. Und mir etwas zuschulden kommen zu lassen, geschweige denn die nicht geschriebenen Regeln zu brechen, kam für mich nicht in die Tüte.“
„Und warum musstest du mich so behandeln?“ Ein kaum getarnter Vorwurf schwang in seiner Stimme.
Sie zuckte leicht die Achseln, nahm einen tiefen Zug und sagte: „Ich hatte keine Ahnung von Kindern. Und Geduld war nie meine Stärke. Das hatte ich Viola auch sofort gesagt. Aber es war wohl nicht so wichtig im Vergleich zu all den anderen Dingen. Du solltest dein Erwachsenenalter unversehrt erreichen. Das bedeutete vor allem, dass ich dich vor der Grausamen schützen musste. Und das war nicht immer leicht. Besonders in der ersten Zeit hingst du so sehr an deiner Familie, an deinen Erinnerungen an die Flüge auf dem großen Drachen im Mondschein, an das blaue Feuer, ach, an das ganze Leben in der Oberwelt, dass ich dringend etwas dagegen tun musste, um dich davon abzubringen. Du solltest so schnell wie möglich all das vergessen, damit sie dich durch deine kaum geschützten Gedanken nicht aufspüren könnte. Ich wusste nichts Besseres, als dich anzuschreien, dich unter Druck zu setzen und dir zu drohen, damit du nie wieder an die alten Zeiten denkst. Die Sorgen und die Notwendigkeit, das Geld mit endlosem Schuften zu verdienen, haben dich von deinen Träumereien abgelenkt. Und das war alles, was ich eigentlich wollte. Ein paar gute
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