Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Schätze für ihr Eigentum zu erklären.“
„Warum hast du nie etwas davon genommen?“
Sie sah ihn verwundert an: „Wozu? Alles, was fürs Leben nötig war, hatten wir da. Und du solltest lernen, wie es ist, sich in der Menschenwelt als ein armer Schlucker durchschlagen zu müssen. Du solltest keine Privilegien haben und so aufwachsen, wie viele andere hier auch.“
„Aber warum? Warum musstest du mich so behandeln? Hat Viola es dir so angeordnet?“
„Nein, das stimmt nicht“, erwiderte sie entscheiden und zündete eine neue Zigarette an. „Das hätte sie sich gar nicht vorstellen können. Du warst ihr ein und alles. Sie verwöhnte dich wie keinen anderen.“ Die Alte nahm einen tiefen Zug. „Sie wollte, dass es dir gut geht. Ich bin mir sicher, dass Viola es wusste, zumindest wünschte sie sich, dass du eines Tages nach deiner Herkunft fragen würdest, dass diese Frage dir keine Ruhe geben wird und dass du nach der Wahrheit suchen wirst, bis du eine richtige Antwort gefunden hast. Und so langsam, wie es aussieht, bist du auch so weit.“
„Ich bin nicht der Meinung, dass es mir besonders gut ergangen ist“, sagte Ian, Verärgerung schwank in seiner Stimme. „Du hättest ruhig ein paar von den Goldmünzen oder Edelsteinen aus der Truhe verkaufen und mir diese sinnlose Schufterei sparen können. Und wegen ein paar Scheine mehr oder weniger von meinem bescheidenen Lohn mir das Leben zur Hölle zu machen, das hätte echt nicht sein müssen.“
„Nun“, sie lächelte fast vergnügt vor sich, „es hätte dummes Gerede gegeben. Eine alte Hexe, die, nach Meinung der Allgemeinheit, ihre Groschen mit Mixturen und Salben verdient, handelt plötzlich mit seltenen Prachtstücken von Gold und Diamanten, die ihresgleichen suchen. Das wäre mir zu viel des Guten.
Die Leute hier sind neugierig und von Missgunst getrieben. Sie gönnen einem kaum die Butter aufs Brot. Das wäre sicher nicht gut gegangen. Und ich hatte keine Lust, mich durch so einen Blödsinn in Erklärungsnot zu bringen. Gier ist eine gefährliche Sache. Früher oder später wären Diebe oder sonst noch welche Halunken hier aufgetaucht.“ Sie blickte ihn eindringlich an. „Und habe ich gerne meine Ruhe.“ Sie machte den Stummel aus, steckte eine neue Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und fuhr fort: „Die Leute sollen glauben, was sie glauben wollen. Und das Geld hättest du später auch gut gebrauchen können. Ich hätte dir die Truhe an deinem einundzwanzigsten Geburtstag überreicht, wie es mit Viola vereinbart war. Das hätte ich getan in der Hoffnung, dass du bei mir einiges über den Umgang mit dem Geld gelernt hast und den Inhalt des Kastens nicht gleich in den ersten drei Tagen verprassen würdest.“
Ian seufzte. Eine Geschichte nach der anderen! Und das, obwohl ich nicht mehr in der Anderen Welt bin . Er schüttelte kräftig den Kopf, dann sah zu ihr auf. „Wie kommt es, dass du die Andere Welt verlassen hattest? Du bist doch von dort.“
„Das ist richtig“, nickte sie, ließ eine große Rauchwolke aus ihrem Mund entweichen, sah zu, wie sie langsam zur Decke stieg und sich dort auflöste, dann sagte: „Ich habe früh genug der Anderen Welt den Rücken gekehrt, denn ich sah, dass alles dort dem Bach runter ging und keiner imstande war, etwas zu tun, um diesen Wahnsinn aufzuhalten. Zu viel Gerede, zu wenig Taten, bloß eine Unmenge von sinnfreien Aktivitäten, die kaum zur Verbesserung beitragen konnten. Und jeder, der dafür war, die Situation vom Grund auf zu ändern, geriet in Ungnade der Mächtigen und konnte eh nichts richten. Alles sollte bleiben, wie es war. Alle diese Weisen, wie die sich nannten, waren in meinen Augen Narren, die das Offensichtliche nicht mal in Betracht ziehen wollten. Und dass es so weiter nicht gehen konnte, ach …“, sie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, in der sie ihre Zigarette hielt. Die Asche fiel auf die längst nicht mehr gewischten breiten Dielen. „Sie waren so blind und selbstzufrieden! Sie konnten nicht oder wollten nicht den Ernst der Lage erkennen, geschweige denn von etwas gegen diesen Unfug zu unternehmen. Manche haben die Gefahr zwar erkannt, konnten aber trotzdem nicht viel richten. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses Theater!“ Zorn war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie blickte zum kleinen Fenster hinaus, das ein wenig Licht durch die Scheiben durchließ.
„Und hier, in der Menschenwelt, war es besser?“ Ian musterte ihr runzeliges, vor Aufregung gerötetes
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