Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
es war schon toll, dass er dort aufgetaucht war. Er half uns, dort schnell herauszukommen.“
„Klar. Aber warum?“
„Ich weiß es einfach nicht.“
„Der Tunnel, wie du ihn nennst, heißt das Labyrinth der Drachenseelen. Nachdem die Grausame die Drachen versteinert hatte, sperrte sie die Seelen in diesem Labyrinth ein und versuchte dann später, sie dazu zu bringen, auf ihre Seite überzutreten.“
„Was hätten sie davon gehabt?“
Der Gögling flog um Ians Kopf, setzte sich wieder auf seine Schulter und stieß ihm die Klauen bis in die Knochen.
Ian schreckte vor Schmerz auf, ließ ihn aber dort, wo er war. Sein Griff lockerte sich.
„Sie versprach, dass sie ihre Körper zurück bekommen. Sie wären dann wie früher, sogar dass sie weiterhin die Oberwelt besiedeln durften. Für immer. Sie müssten sie bloß als ihre Befehlsgeberin anerkennen und sich für sie und ihre Ziele einsetzen.“
Die beiden blickten ins Tal. Der Nebel wurde dichter, die Lichter waren darunter verschwunden. Die grauen Schwaden stiegen langsam höher.
„Sie haben abgelehnt“, fuhr Ernst fort. „Sie wollten die Grausame nicht als ihre Befehlshaberin wissen. Sie wollten nicht als ihre Diener gelten. Also ließ sie die Drachenseelen so lange durch die Gänge huschen, bis sie ihre Meinung geändert oder sich vergessen hätten. Das ist in all den Jahren nicht passiert, wie es aussieht.“
Schweigen breitete sich zwischen den beiden aus.
Der junge Mann nahm den Gögling von der Schulter ab, setzte ihn auf die Hand und musterte ihn nachdenklich. Dieser sah zu ihm ernst, ohne seine üblichen Grimassen zurück. Ein Blitz der Erkenntnis leuchtete plötzlich Ians seinen Augen auf. Er wandte sich zum alten Magier. „Du meinst, er ist eine Drachenseele?“
Der Gögling reckte seine schmale Brust nach vorne und beugte sich theatralisch vor, als ob er ein begeistert klatschendes Publikum vor sich hätte. Seine Klauen bohrten sich dabei Ian bis zu den Knochen. Er nahm ihn ab und setzte ihn auf den großen Stein.
„Richtig“, nickte Ernst. Er schaute die beiden mit einem zufriedenen Schmunzeln an und fügte leise hinzu: „Ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass es diesmal um deine Seele geht.“
Ian stockte der Atem, er schnappte nach Luft. „Meine?“, brachte er schließlich und blickte den Gögling verdutzt an, als wenn er ihn zum ersten Mal sah. „Du bist meine Drachenseele?“
Dieser schaute fröhlich zu ihm zurück und nickte. Er flatterte mit den Ohren und flog auf seine linke Schulter zurück. Dort angekommen, hielt er sich fest, rollte die Ohren wieder zusammen, hörte auf zu zappeln und fokussierte seinen aufmerksamen Blick auf dem alten Mann.
„Das ist ja ein Ding“, stammelte Ian. „Mir war sofort klar, dass er ein Drache ist, aber dass er meine Seele sein sollte …“ Er schaute hilflos um sich und schwieg. Schließlich wandte er sich zum Magier wieder. „Und was passiert mit ihm, wenn ich ein Drache werde?“
„Er wird deine Seele bleiben, bloß er nimmt den dazu vorgesehenen Platz. Er wird ein Teil von dir.“
„Das heißt im Klartext, ihn gibt es dann nicht mehr.“
„Den gibt es sehr wohl. Nur eben in einer anderen Form.“
Der junge Mann nahm den Gögling von der Schulter und streichelte ihn über den Rücken. „Ich habe mich an ihn gewöhnt. Er ist ein witziges Kerlchen, hat immer etwas Komisches angestellt, Anna so schön geärgert. Er würde mir sehr fehlen.“ Er sah traurig in die neugierigen Glupschaugen, die fragend vom alten Magier zu ihm und wieder zurück wanderten. „Kann ich ihn behalten, so wie er ist?“
„Nun, wenn man etwas verändert, besonders in dieser Größenordnung, dann sind oft gewisse Zugeständnisse üblich“, sagte er. „Es gibt ihn weiter, er wird nur seine Gestalt aufgeben müssen.“
Ian seufzte. „Jetzt hat er seinen eigenen Körper, eine persönliche Erscheinung. Und ich finde, es ist auch gut so. Bei ihm muss gar nichts verändert werden.“
„Das kann ich verstehen, bloß es war schon immer so, eine Drachenseele gehört zum Drachen.“
„Klar, das tut sie auch. Aber warum darf sie denn nicht eigene Gestalt haben? Wenn ich mich zum Drachen und zurück verwandeln kann, warum soll so etwas für ihn auch nicht möglich sein?“
„Ich kann dir nur sagen, wie es früher üblich war“, sagte Ernst achselzuckend.
„Gut. Verstehe. Und was passiert mit dem kleinen Drachen?“
„Wenn die Jungen zu Drachen wurden, zerfielen sie für
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