Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
was er am liebsten tat. Sie hatten Familien, Kinder, es lief alles, wie es in der Oberwelt üblich war, zum Glück und Zufriedenheit aller.“
„Unglaublich …“ Ian blickte ins Tal, wo Dutzende von Lichtern durch die Dunkelheit schimmerten. „Ob die Vorfahren mich als ihren Nachkommen auch annehmen? Ich habe ganz woanders ein ganz anderes Leben geführt, das sehr weit von dem der Ahnen entfernt war. In jeder Beziehung.“
„Drittens“, der alte Magier baute sich vor ihm und sah ihn eindringlich an „wenn du dein wahres Wesen annimmst, wenn du also der wirst, wer du eigentlich sein solltest, werden deine Ahnen dich auch annehmen.“
Der junge Mann sah zu ihm auf. „Ich weiß nicht …“, seufzte er und ließ den Blick über die schlafenden Berge schweifen. „Ich bin den größten Teil meines erwachsenen Lebens ein ganz normaler Mensch gewesen.“
„Es ist schon in Ordnung. Das ist Vergangenheit. Man muss jetzt nach vorne schauen und sich um die Zukunft kümmern.“
„Ich weiß nicht“, sagte Ian wieder und sah verlegen auf den steinigen Boden vor seinen Füßen.
„Ich aber. Es ist sicher wie die Heilkraft des blauen Feuers. In guten alten Zeiten gab es Jugend und Lebensfreude den Oberweltlern zurück. Keiner verletzte sich daran, es sei, dieser jemand hatte Angst davor oder war eine gewisse Magierin.“
„Wie?“ Der junge Mann blickte überrascht auf. „Ist es etwa ihre wunde Stelle?“
„Sie hat eine, so viel ist sicher“, nickte Ernst. „Sogar mehrere“, fügte er hinzu. „Und eins steht klar: Sie hat einen großen Respekt vor dem Drachenfeuer.“
„Und wieso?“
„Ganz einfach“, lächelte der alte Mann. „Wie es aussieht, hat sie kein Gegenmittel dazu gefunden. Gegen diese klärende, reinigende Kraft, die imstande ist, alles Trübe, Deprimierende, Sklavenhafte einfach in der Luft aufzulösen, hat sie nichts. Auch deshalb wollte sie das ganze Drachengeschlecht aus der Welt haben.“
Ian schaute nachdenklich ins Tal und schwieg. Kalter Wind wehte ihm die Locken ins Gesicht.
Der Gögling klammerte sich wieder fest an seiner Schulter. Er schälte seine Schnauze aus der Abdeckung seiner Ohren heraus und rollte interessiert die Glupschaugen zum alten Magier, dann zu Ian und zurück.
„Hier, er sagt es wieder, hörst du das?“ Er sah Ernst fragend an.
„Nein, ich höre nichts“, schüttelte er den Kopf.
„Er sagt, wie immer, nur das eine Wort: Zuhören. Jetzt schon wieder.“
„Da hat er auch recht. Du sollst der Stimme deiner Seele zuhören, dann tust du das Richtige.“
„Ach“, entwich es Ian. Er schaute eine Weile auf die umliegenden Hügel. „Und was tut man denn so, um ein Drache zu werden?“, fragte er schließlich.
Der alte Mann zog ihn zu sich, legte rechten Arm um seine Schulter, blickte nachdenklich nach unten, wo die aufziehenden Nebelschleier die Lichter im Tal leicht überdeckten und deren Flackern matter erscheinen ließen, und sagte wehmütig: „Früher wurden zu solchen Anlässen große Feste gefeiert. Alle Oberweltler waren willkommen. Nach einem Drachentanz gab es eine Zeremonie, in der die Jungen von den Erwachsenen ins Drachendasein eingeweiht wurden.“
„Das habe ich gesehen“, lächelte Ian. „Scharta hatte es uns gezeigt. Und ich kann mich jetzt auch selbst zum Teil daran erinnern. Ich weiß noch, die Jungen und Mädels waren so aufgeregt! Ihre Gesichter stehen mir immer noch vor Augen.“ Er seufzte. „Es war der Abend, an dem die Frau in Schwarz auftauchte und dann alles plötzlich dunkel wurde.“
Die beiden schwiegen bedächtig.
„Du sollst mit deinen Vorfahren reden“, sagte schließlich der alte Magier.
Der Gögling nickte eifrig ein paar Mal und schlug dabei mit seinen Entenfüßen, als ob er applaudierte.
Der junge Mann blickte verdutzt. „Wie soll ich mit ihnen reden, wenn sie seit Langem Stein sind?“
„Du solltest trotzdem mit ihnen reden.“
„Verstehe ich nicht ganz. Das würde doch genauso viel bringen, als wenn ich mit den Toten reden würde.“
Der Gögling rollte die Ohren aus und schüttelte so kräftig seinen Eierkopf, dass sein rechtes Ohr Ian einige Male auf die Wange schlug.
„Das tut manchmal gut, mit den Toten zu reden“, sagte Ernst. „Weißt du noch, wo du deinen Freund gefunden hast?“
„Klar weiß ich das. Er war im Tunnel auf mich zugeflogen.“
„Und was glaubst du, warum?“
„Keine Ahnung“, zuckte er die Achseln. „Ich habe nie darüber groß nachgedacht. Er war einfach da. Und
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