Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
gut!“
„Haben sie wenigstens etwas mit der Oberwelt zu tun?“, fragte Anna über die Kante gebeugt. „Aua! Mein Kopf!“, schrie sie wieder auf.
„Ich bin unter dir. Spring einfach“, sagte er. „Ich werde dich auffangen und dann kriegst du etwas gegen die Schmerzen.“
„Du siehst mich nicht mal!“
„Keine Sorge, ich weiß, wo du bist. Ich stehe gerade unter dir.“
„Mein Kopf! Er explodiert gleich.“
„Das dachte ich auch, aber mit Alphiras Spezialmischung waren die Beschwerden schnell weg“, sagte Ian mit guter Portion Zuversicht in der Stimme und blickte nach oben.
„Gut. Ich springe jetzt. Und wehe du mich nicht fängst!“
„Keine Sorge, das wird schon.“
Anna glitt von der Kante herunter. Nach ein paar Sekunden spürte sie, wie zwei kräftige Hände sie auffingen und gegen eine harte, muskulöse Brust pressten. Sie versuchte sich daraus zu schälen, die Hände hielten sie aber fest.
„Lass mich runter!“, befahl sie und machte sich energischer daran, sich aus seiner Umarmung zu befreien.
Der junge Mann ließ sie auf den Boden. „Alles ist gut?“
„Vorsicht. Ich habe etwas mit dem Knie“, brummte sie mürrisch. „ Und du hast mir etwas gegen Kopfschmerzen versprochen“, fügte sie hinzu, ohne ihn anzugucken. „Das kann ich jetzt gut gebrauchen.“
Ian zog das Fläschchen aus seiner Tasche, machte auf und streckte es ihr entgegen.
Sie nahm einen kleinen Schluck. „Das ist wirklich Alphiras Mischung. Das kenne ich doch! Die unverwechselbare Kombination aus dreizehn Kräutern und Gewürzen mit wunderbarem Waldhonig versüßt.“
„Und sie hilft gut!“ Der junge Mann drehte sich um. „Folge mir. Es ist nicht weit.“ Und er lief dem schwachen Licht entgegen.
Anna humpelte leise vor sich schimpfend hinter ihm.
„Setz dich.“ Er zeigte auf den Stapel leeren Hüllen.
Sie tat wie geheißen und streckte ihr rechtes Bein mit dem schmerzenden Knie aus. Dann blickte sie auf und erschrak: Ein extrem dünner, fast durchsichtiger Mann mit einem weißen Bart saß ihr gegenüber und musterte sie mit seinen wachen, tief sitzenden Augen.
„Wer sind Sie?“, fragte sie, die Brauen zusammengerückt.
Der Mann lächelte freundlich und krächzte: „So bist du also. Die letzte Novizin von Alphira. Ich habe einiges von dir gehört.“
„Sie haben von mir gehört?“, staunte sie. „Hier unten? Von wem? Wann? Warum?“
„Nun“, der kleine Mann zuckte die Schultern. „Ich kannte Alphira gut.“
„Sprechen Sie von ihr nicht in der Vergangenheitsform!“ Annas Augen blitzten zornig auf. „Sie lebt. Und es geht ihr den Umständen entsprechend gut!“
Der Mann nickte. „Gut zu hören.“
„Wer sind Sie eigentlich?“ Sie musterte den alten Mann eindringlich.
Er lächelte wieder. Dutzende von Fältchen legten sich um seine Augen und den schmalen, nach unten gezogenen Mundwinkeln. „Ich bin der alte Herr der Unterwelt.“
Die Jungmagierin zog eine Augenbraue hoch. „Sie sind wer?“, stammelte sie überrascht und ließ ihr Knie los.
„Ich bin der alte Herr der Unterwelt“, wiederholte der Mann.
„Kann nicht sein“, winkte sie ab. „Den habe ich mir anders vorgestellt.“
„Nun, früher war ich auch anders. Und die Unterwelt selbst war früher anders. Ich war der Herr dieser anderen Unterwelt mit allem Drum und Dran: dem Schloss, den Bediensteten, den Schätzen, den Ländereien. Wir hatten auch ganz andere Regeln und gewiss einen anderen Umgang miteinander.“
Anna schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Doch. So war es. Der Stapel, auf dem du sitzest, dort waren noch vor Kurzem meine Diener untergebracht. Sie haben die Strapazen der Existenz hier nicht überlebt.“
„Heißt es, dass diese harten Kanten auf denen ich gelandet bin, schlichtweg die Hüllen sind, die noch jemanden beherbergen?“ Ihr stockte der Atem.
„So ist es“, nickte er. „Das sind meine früheren Untergebenen. Sie siechen dort vor sich hin“, seufzte der alte Herr. „Sie sind sehr schwach. Aber sie leben noch.“
„Unglaublich“, stammelte die Jungmagierin. „Ich dachte, die Grausame war schon immer die Herrscherin der Unterwelt.“
„Nein. Das ist sie noch gar nicht lange. All das, was jetzt da oben in der Unterwelt geschieht, ist fürchterlich und selbstzerstörerisch zugleich. So etwas hätte ich nie zugelassen!“ Seine Augen blitzten zornig auf. „Das Gleichgewicht zwischen der Ober- und Unterwelt war für uns stets das Wichtigste“, fügte er
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