Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
etwas ruhiger hinzu.
„Das mit dem Gleichgewicht habe ich schon mal gehört“, nickte sie.
„Die Unterwelt und die Oberwelt waren unterschiedlich wie Tag und Nacht. Aber wir waren uns einig, dass das Gleichgewicht unserer Kräfte und des entsprechenden Einflusses die wichtigste Grundlage für uns beide war. Deshalb arbeiteten wir hart daran, es aufrechtzuerhalten und durch keine leichtsinnigen Aktionen aufs Spiel zu setzen. Es wäre ein zu gefährliches Unterfangen, dessen Folgen keiner von uns so genau erforschen wollte.“
„Ich habe mal in einem Buch gelesen, dass wenn die Unterwelt übermäßig groß wird, dann stürzt die Oberwelt in die Unterwelt“, flüsterte Anna und sah den alten Herren fragend an.
„Richtig“, nickte er. „Aber es ist noch nicht die ganze Wahrheit. Sobald es keine Oberwelt mehr gibt, sind die Tage der Unterwelt auch gezählt. Es gibt keinen Schatten ohne Licht. Wenn das Licht erloschen ist, ist der Schatten auch zum Tode geweiht. Das übersieht die junge Dame, die meinen Thron seit einiger Zeit als Ihren wähnt. Sie hat die Unterwelt und ihre Lebensgrundlage immer auf ihre eigene Art verstanden. Diese verstößt aber gegen die uralten Gesetze der gesamten Anderen Welt, die die weisen Magier vor ewig langer Zeit festgelegt hatten.“
„Ihre Wahnsinnsgier und grenzenloser Egoismus steuern also die ganze Andere Welt in den Abgrund.“
Der alte Mann lächelte traurig. „So sieht es aus.“
„Weiß sie nichts davon?“
„Mag sein, mag auch nicht sein. Keiner weiß es so genau.“
„Aber warum tut denn niemand etwas dagegen?“, fragte Anna zornig. „Man weiß Bescheid, sitzt aber da, die Hände im Schoß gefaltet, und sieht zu, wie das Ganze vor die Hunde geht?!“
„Nicht so stürmisch junge Dame. Es sind mittlerweile einige Dinge passiert, die möglicherweise an der Situation etwas ändern können.“
„Die wären?“
Ian schritt aus der Dunkelheit ins schwache Licht.
Der Gögling saß auf seiner linken Schulter, lehnte sich ans Ohr seines Herrn, blickte müde in die Runde und klatschte schlapp mit den Füßen auf seine Brust.
Er nahm ihn herunter und hielt wie ein kleines Kind auf dem Arm.
Der Gögling rollte sich in seine Ohren ein und wurde still.
„Ich habe mit meinen Vorfahren gesprochen“, sagte der junge Mann. „Sie haben mit mir ihre Kraft geteilt, wie es aussieht“, fügte er leise hinzu.
Anna musterte ihn vom Kopf bis Fuß, stammelte dann: „Du siehst ja so anders aus. Das sehe ich jetzt erst.“
„Das blieb nicht aus“, zuckte er die Schulter.
„Und wie kommst du hierher?“ Sie blinzelte einige Male hintereinander und sah ihn wieder verwundert an.
„Die gute Frau tauchte auf dem Hohen Berg auf“, sagte Ian und setzte sich zwischen den beiden auf den Boden.
„Und sie hat dich hierher verbannt, weil du immer noch kein schwarzer Prinz sein wolltest.“
„So ist es. Diesen Blödsinn glaubt sie wohl selbst nicht“, schüttelte er den Kopf.
„Es ist schon merkwürdig. Überall wo du hinkommst, kriegst du Unterstützung.“ Die Jungmagierin blickte anerkennend zu ihm auf. „Gerade in der Unterwelt hätte ich nicht damit gerechnet.“
Ian grinste breit. „Wenn man den richtigen Weg einschlägt, wird es einem geholfen, auch dort, wo man nichts dergleichen vermutet. So etwas besagt doch eine eurer Weisheiten, oder?“
„Man wird getragen, heißt es“, sagte sie. „Das Universum, die höheren Kräfte, das Schicksal helfen einem auf seinem eigentlichen Weg, wenn man weiß, wer man ist und aus dem heraus das tut, was richtig ist.“
„Und deshalb ist es so, wie es ist.“
„Wenn ich mal wüsste, wie ich sie kriegen könnte“, flüsterte die Jungmagierin nachdenklich. Ihr Blick schweifte in die Ferne. „Diese Frau … Sie muss doch zumindest eine schwache Stelle haben. Dann wäre es doch möglich, diesen Wahnsinn noch rechtzeitig aufzuhalten.“
„Bevor du hier aufgetaucht bist, erzählte der alte Herr der Unterwelt spannende Sachen.“
„Zum Beispiel?“
„Dass die neue Herrscherin der Unterwelt früher Alphiras Novizin war.“
„Was??“ Anna blickte perplex von einem zum anderen. Sie hielt bei dem alten Mann an. „Sagen Sie mir, dass es nicht wahr ist!“
„Aber klar doch“, lächelte er. „Es ist wahr. Sie war so etwas wie eine Tochter für sie. Von der Magie und der Beschaffenheit der Oberwelt lernte sie viel von ihr. Später kam sie zu mir.“
„Warum haben Sie sie aufgenommen?“
„Gute Frage“, sagte der
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