Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Untoten. Ihre gierigen Augen leuchteten rot. Ein paar andere merkwürdige Gestalten, die sie noch nie gesehen hatte, standen weiter hinten und stierten ebenso auf die Fässer. Die Diener in Festkleidung bildeten eine große Gruppe vorne links vom schwarzen Thron. Dahinter standen die unzähligen Reihen der Sklaven.
„Amüsiert euch! Es ist ein guter Tag für die Unterwelt!“, ertönte die Stimme der Herrscherin. „Heute wird die letzte Magierin der Oberwelt hingerichtet! Deshalb gibt es eine Menge Wein für meine treuen Untertanen.“
Die Fässer öffneten sich. Hölzerne Plomben flogen heraus und eine violette, säuerlich riechende Flüssigkeit schoss auf die Pflastersteine. Wie auf ein Kommando rannten die Untoten zu den Fässern. Die Sklaven schleppten sich lustlos dorthin. Der Boden bebte. Gejaule, Gezänk und Geschrei füllten den Platz mit einer unerträglichen Kakofonie. Als sie näherkamen, sah Anna, dass sie alle mit blechernen Krügen bestückt waren, die an langen Ketten um die Hälse hingen. Die Untertanen der Herrscherin füllten die Krüge aus den Fässern ab, verschlangen den Inhalt in einem Zug und streckten sie erneut unter die Hähne. Das dünne Zeug strömte pausenlos. Vergnügliches Schmatzen und Grunzen füllte die Luft. Das Gedränge wurde noch lebhafter. Manche prügelten sich bereits.
Bald lagen die ersten Alkoholleichen über den Platz verteilt, ihre Glieder vor sich gestreckt, das säuerlich riechende Zeug aus den Fässern als Unterlage.
Anna hätte am liebsten die Ohren mit den Händen geschlossen und weggerannt, aber sie waren hinter ihrem Rücken an einen dicken Pfeil gebunden, der in einem steinernen Sockel, der sich unter ihren Füßen eisig kalt anfüllte, befestigt war. Sie steckte in einem engen, durchsichtigen Zylinder, in dem eine dunkelbraune, klebrige Masse am Fuß des Sockels waberte und langsam anstieg. Erst berührte sie ihre Füße nur knapp, bald aber reichte sie ihr bis zu den Knöcheln. Es war, als ob Dutzende von Insekten ihre Haut durchbohrten, um in ihren Körper tiefer einzudringen. Dazu roch es immer strenger nach Fäulnis und Schwefel.
„Ich habe beschlossen, dass du langsam sterben sollst“, erklang die kühle gebieterische Stimme. „Der Schlamm steigt nur langsam, dafür aber ist er nicht aufzuhalten. Irgendwann wird er dir bis zu den Ohren reichen. Dann steigt er zu deinem allzu losen Mund, dann zur Nase, die sich in Angelegenheiten anderer so gerne eingemischt hat. Und es dauert nicht mehr lange, bis du darin erstickst, wie ein gewöhnliches Hündchen, das man nach dem Wurf nicht behalten will. Dann bist du tot. Ha-ha-ha!“ Ihr tiefes Lachen hallte über dem Platz. „Meine Untergebenen werden deinen Tod bejubeln! Sie werden auf deinen Knochen tanzen und das endgültige Ende deines erbärmlichen Lebens feiern. Und den Tod der Oberwelt insgesamt noch dazu! Ha-ha-ha!“ Ihr diabolisches Lachen ertönte eindringlicher. „So einfach ist es! So endet eine Möchte-gern-Magierin, die allzu viel Vertrauen in ihre ach so gütige Welt mit all ihren naiven Träumen gesetzt hatte!“
Anna blickte zu ihr auf. Die Herrscherin der Unterwelt saß etwa fünfzehn Schritte entfernt auf dem mit Diamanten und Gold üppig geschmückten Thron. Ein weißes Amulett zierte ihr glitzerndes Kleid aus schwarzer Seide. Es war ein aufwendig gearbeiteter, achtzackig er Stern mit einem großen, dunklen Stein in der Mitte. Die Jungmagierin musterte das Prachtstück. Das ist das Amulett, das Alphira sonst so oft anhatte! Ich habe den Stein noch nie in Schwarz gesehen. Bei ihr war er meist weiß. Unbändige Wut stieg in ihr hoch. Dass sie Alphiras Amulett trägt! Und das auf meiner Hinrichtung! So etwas wie Skrupel ist wohl ein Fremdwort für dieses Monster . Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Gedanken zu schließen.
„Ich weiß, was du denkst“, sagte die Frau auf dem Thron, ihre Stimme gebieterisch und gelassen. „Ich bin auch nicht dazu da, um jedermanns Liebling zu spielen. Meine Prioritäten liegen auf einem ganz anderen Gebiet.“ Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. Sie sah zufrieden auf die Masse ihrer Untergebenen, die den weiten Platz fast vollständig ausfüllten, und wandte sich wieder Anna zu. „Ich kann aber auch großzügig sein. Ich kann mich auch anders entscheiden und dir einen kurzen Prozess machen. Das willst du doch sicherlich. Ich brauche nur das Glas, in dem du steckst, rasch auffüllen zu lassen, diese kleine Treppe zu steigen und
Weitere Kostenlose Bücher