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Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rina Bachmann
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hätte. Warum tun die alle so, als ob ich etwas schlimmes getan hätte? Ich habe ihn doch nur da weggezogen. Ich kann doch nicht einfach da stehen und tatenlos zusehen, wie ein Lkw dabei ist, ihn platt zu mangeln!
    Der Abendtau blinzelte im Gras. Unzählige Tropfen setzten sich mit jedem Schritt auf seine Jeans ab und ließen sie feucht und schwer an den Beinen kleben. Ian hielt an, hob das Gesicht zu den letzten Sonnenstrahlen, schloss die Augen und atmete tief die frische Luft ein. Herrlich . Als er wieder aufblickte, merkte er, dass die Sonne sich hinter den Tannenwipfeln gesetzt hatte. Es ist besser, ich gucke gleich nach den Gänsen. Er lief bis zum abgelegenen Teil der Wiese und schaute sich perplex um. Seltsam. Sie verstecken sich heute . Wo sind sie hin? Sie sind doch sonst immer da, wenn ich sie abends abholen komme . Er lief die Wiese wieder auf und ab . Die Gänseblümchen schlossen ihre Blüten für die Nacht, das Vogelgezwitscher hörte nach und nach auf. Schon komisch. Er seufzte, drehte sich um und ging zum Häuschen der Alten. Vielleicht sind sie schon beim Haus? Vielleicht hat die Alte sie bereits geholt? Warum auch immer.
    Er lief zum Verschlag beim Haus, in dem die Gänse für gewöhnlich über Nacht blieben. Er war leer. Ian schüttelte verzweifelt den Kopf. „Heute ist einfach nicht mein Tag“, seufzte er und ging ins Haus.
    Die Alte stand vor dem Herd, gebeugt über ein dämpfendes Gebräu, das säuerlich und beißend roch. Sie würdigte ihn keines Blickes und rührte weiter im Topf, eine glimmende Zigarette in der freien Hand.
    Ian sah zu ihr auf und brummte: „Die Gänse sind nicht da. Auf der Wiese waren sie nicht und hier am Haus sind sie auch nicht. Ich weiß nicht, wo sie sind.“
    Sie blickte ihn mürrisch von unter den zusammengezogenen Brauen an und schrie in ihrer hohen, quietschenden Stimme: „Was erzählst du da?“
    Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, sank den schuldbewussten Blick zu Boden und sagte leise: „Das hast du schon richtig gehört. Die Gänse sind nicht da.“
    Die Alte runzelte die Stirn, hob den Kochlöffel aus dem Topf, klopfte ihn am Rand kräftig ein paar Mal ab und schmiss den plötzlich nach ihm.
    Ian schritt rasch beiseite.
    Der Löffel prallte von der Tür ab und schepperte auf der Schwelle.
    „Du elender Nichtsnutz! Nicht mal die Gänse kann man dir anvertrauen! Das gibt es doch gar nicht!“
    Ian stand gerade da und schaute, auf alles gefasst, in ihr rot angelaufenes Gesicht.
    „Zehn Stück haben es ohne dich geschafft!“, kreischte sie hysterisch. „Zehn! Ich habe sie in deinem Zimmer eingeschlossen. Wo die anderen zwei sind, die große Weiße und der kleine graue Gänserich, das musst du mir erklären!“
    „Ich weiß nicht“, erwiderte er verzweifelt und blickte verloren um sich.
    „Dann suche sie, verdammt! Und glaub ja nicht, dass du ohne die beiden zurückkehren darfst! Hole sie, koste es, was es wolle!“ Ihre Stimme stieg noch höher und brach auf einmal ab. Sie hustete einige Minuten ausgiebig, dann brüllte sie wieder: „Was stehst du hier und glotzest rum? Ab mit dir! Und komme mir nicht ohne meine Gänse zurück!“
    Ian drehte sich wortlos um, schritt rasch zur Tür und ließ sie mit einem stumpfen Schlag hinter sich zufallen. Es ist heute überhaupt nicht mein Tag.
    Er lief zu seiner Wiese und suchte sie nochmals ab. Keine Gänse, weit und breit. Er ließ sich bäuchlings ins Gras fallen und blieb bewegungslos liegen. Nach einer Weile drehte er sich um und öffnete die Augen. Weiße Wölkchen schwebten im klaren, dunkel werdenden Himmel und ließen ihn wieder an die Gänse denken. Wo soll ich sie noch suchen? Wo sind sie denn hin? Hat sie jemand geklaut? Wenn ja, warum? Warum jetzt, warum ausgerechnet heute? Was für ein Tag! Er schüttelte den Kopf. Ich bin ja plötzlich ein Dieb! Und keiner glaubt mir, dass ich damit nichts zu tun habe! Und das mit Thomas, das ist erst recht ein Witz. Ian atmete tief die kühle Luft ein, legte sich bequemer hin und zog fester seine Jacke um sich . Ein schönes Bett, hier übernachte ich heute. Hier schreit zumindest keiner herum.
    Die ersten Sterne blinzelten durch die dünnen Schleierwolken auf ihn herab. Sie zierten das dunkle Blau mit feinen Mustern, die wie eine geheime Schrift den tiefen, grenzenlosen Himmel überzog. Ian schloss die Augen. Schlafen. Das wäre jetzt das Beste . Er wartete, hörte dem geschäftigen Zirpen der Zikaden zu und gab sich Mühe, seine Gedanken

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