Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
fallen. Ihr spitzes Kinn nach oben gereckt, fuhr sie fort: „Dafür, dass du mich damals aus dem Dreck herausgeholt hast und all den Kram, was du mich gelehrt hast … “, ihre Mundwinkel pressten sich fest zusammen, das Gesicht verzog sich zu einer spöttischen Maske, „ich muss zugeben, es war ja nicht viel nützliches dabei, aber es war wenigstens ein Anfang.“ Sie beugte sich wieder zu der alten Frau vor und zischte: „Dafür hätte ich dir noch die Würde samt deines Hauses gelassen!“ Sie wartete einige Sekunden ab, stellte dann empört fest: „Du willst es aber nicht. Gut. Das ist deine Entscheidung.“ Schiefes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ist auch besser so“, setzte sie hinzu. „Ich mag keine Enklaven in meinem Reich. Und du gesellst dich bald zu all den anderen hirnlosen Träumern.“ Sie murmelte einige Worte vor sich, die Ian nicht verstand, schritt auf die Frau in Weiß zu und riss ihr mit einem schnellen Ruck das Amulett von der Brust. „Das wirst du demnächst nicht mehr brauchen.“
Die ältere Frau schwankte, tat ein paar unsichere Schritte zurück und fiel in den Sessel hinter ihr.
Die kleine Frau lachte. Ihre Stimme hörte sich plötzlich tief an, als ob sie von einem Mann käme und ging sogleich in ein Echo über. Es breitete sich aus, hallte weiter, bis es fahl wurde und allmählich in der Ferne abklang.
Alles drehte sich. Ian kam vor, dass er aus den Untiefen eines schwarzen Ozeans auftauchte. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Kräftige Kopfschmerzen drohten seinen Schädel von innen aufzubrechen. Eine akute Übelkeit stieg in ihm hoch. Er setzte sich schnell auf, hustete, spuckte und würgte so lange, bis bittere Galle aus seinem Hals schoss und eine gelbliche, eklig riechende Lache zwischen seinen Füßen bildete. Er schnappte nach Luft. Das tut gut. Einen tiefen Atemzug und noch einen. So langsam wird es besser. Die Nacht roch nach Gräsern und feuchter Erde. Er entfernte sich von der Stelle und setzte sich hin einige Meter weiter.
Nach einer Weile versuchte er aufzustehen. Seine Knie gaben aber nach und er fiel zurück. Ich bleibe hier . Zu der Alten brauche ich gar nicht mehr hinzugehen. Die Gänse sind weg. Hier ist es auch ruhiger. Keiner macht Hektik. Keiner schreit herum. Schön. Die Nacht im Freien. Er seufzte erleichtert, legte sich wieder ins feuchte Gras, die Hände im Nacken gekreuzt und blickte in den dunklen Himmel. Sein Kopf war immer noch wie betäubt, der bittere Geschmack zog ihm den Mund zusammen. Er schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Bloß an nichts denken.
Die Bilder von zwei Frauen kamen ihm aber immer wieder in den Sinn. Sie stritten aufs Neue und der Geruch, der dabei mit einer stumpfen Beharrlichkeit aufkam, machte es ihm zu schaffen. Ein feiner Lavendel mit Honig und Zimt, der die Frau in Weiß umgab, und dagegen ein süßlicher, ekelerregender Verwesungsgeruch, den die kleine Frau in Schwarz um sich trug.
Ian setzte sich wieder auf und schüttelte kräftig den Kopf. Was soll das alles? In so einem Haus war ich noch nie . Und diese Frauen, wo kommen die bloß her? Die sind echt merkwürdig, wie nicht von dieser Welt. Wie sie sprachen und über was für Dinge! Und ihre Kleider! Lang, hell und schlicht bei der Älteren, üppig und schwarz bei der Jüngeren. Wie in einer Märchenverfilmung. Schon komisch das alles, aber die beiden kommen mir irgendwie bekannt vor.
Kapitel 12. Die Einladung.
Es dämmerte. Anna ließ ihren Flugeimer am Rand des Waldes unter einer ausladenden Eiche stehen. Der Baum war alt und der Stamm so umfangreich, dass die junge Frau sich samt der Stupa mühelos dahinter verstecken könnte. Die Reichweite der Zweige ließ die Jungmagierin staunen. Sie maß die Entfernung bis zum Rand der mächtigen Krone in Schritten. „Acht“, sagte sie erstaunt. „So einen stattlichen Baum habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“
Sie ließ einen suchenden Blick über die Landschaft schweifen. Vor ihr lag eine weite, grüne Wiese. Hinter ihrem Rücken fing einige Meter weiter ein gemischter Wald mit Gestrüpp und dichtem Unterholz an. Sie lief einige Meter hinaus, drehte sich um und blickte auf die alte Eiche zurück. „Tja, so welche hätte ich gerne im Großen Wald, aber eine Menge davon“, seufzte sie und schritt durch die hohen, würzig riechenden Gräser weiter.
Die Landschaft wirkte friedlich, nur die Zikaden unterbrachen die abendliche Ruhe mit ihrem eifrigen Gezirpe und die Milane, die im dunkel werdenden
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