Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
einigen Stunden geheilt. Auch viele andere Dinge, die man bei euch Krankheiten nennt, gab es bei uns nicht wirklich. Wir wussten uns dagegen zu wehren. Rechtzeitig, das heißt, viel früher als irgendwelche ernsten Sachen nötig wurden. Diese Methode war sehr erfolgreich. Die Oberwelt und ihre Bewohner waren gesund, in jeder Hinsicht.“
Sie hing eine Weile ihren Erinnerungen nach und fuhr schließlich fort: „Ich half ihr überall: Die Pflanzen suchen, sie sammeln und vorbereiten. Ich habe auch selbst einiges zusammengestellt und fertiggemacht. Wenn jemand Hilfe oder Rat oder beides brauchte und Alphira sprechen wollte, sie aber unabkömmlich war, ging ich hin. Ach, es war eine schöne Zeit! So lernte ich viele Oberweltler und ihre Familien kennen.“ Sie lächelte verträumt. Ihr Blick verfinsterte sich aber, als sie weiter erzählte. „Seit einiger Zeit häuften sich die Fälle, in denen wir nichts dagegen tun konnten. Von Tag zu Tag wurden sie immer mehr. Ich war ratlos. Ich fragte Alphira, was das war und wie wir es in Griff bekommen wollten, aber sie sagte nichts. Sie lief von meinen Fragen weg und schwieg. Später begriff ich, dass sie selbst mit all den wie aus dem nichts aufgetauchten Problemen nicht mehr klarkam. Sie hatte es mir gegenüber nie zugegeben.“ Sie schwieg eine Weile, fuhr dann fort: „Ich dachte früher, dass Alphira für alles eine Lösung wusste.“ Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich hatte keine Ahnung, was mit der Oberwelt passierte. Bloß ich sah, dass sie jeden Tag weniger, blasser und unglücklicher wurde. Ich sah, dass sie ...“ Ihre Stimme brach. Sie räusperte sich, atmete tief durch und fuhr fort: „Für die Oberweltler, mich eingeschlossen, war das schöne, glückliche Leben so selbstverständlich, dass wir uns nie Gedanken darum machten, wie es ohne all dem gehen sollte. Wir konnten es uns gar nicht vorstellen, dass wir eines Tages ohne den endlos blauen Himmel, den frischen Wind und der warmen Sonne da stehen könnten und mit so einer Situation nicht umzugehen wüssten.“ Sie schluckte. „Aber jemand war schlauer als wir. Dieser jemand wusste genau, dass wir ohne diese Dinge nicht lange überleben können. Und das Traurigste war, dass dieser jemand sein Wissen gegen uns ausgespielt hatte. Eiskalt. Dieser jemand hatte es gegen die Oberwelt eingesetzt. Und gewonnen, wie es aussieht.“
„Dann müsste es jemand sein, der so ziemlich gut über die Oberwelt Bescheid wusste“, stellte Ian fest.
Anna starrte schweigend vor sich.
„Es hört sich für mich nach einem perfiden, aber cleveren Plan an: Die Oberwelt so vor die Hunde gehen zu lassen, als ob es eine natürliche Entwicklung wäre, als ob es ihre eigene Entscheidung wäre, einzugehen.“
Sie schaute ihn überrascht an. Ein Hauch Anerkennung blitzte in ihren Augen auf. „Nicht schlecht! Das war auch meine Vermutung. Ich habe sie bloß nie so klar ausgesprochen.“
Er zuckte die Schultern. „Es war einfach mein Eindruck nach all dem, was du mir erzählt hast.“
Die Jungmagierin lächelte verträumt. „Ach war es hier schön früher! Alles war so lebendig, voller Freude und Kraft. So viel von der Sonne, dem Wind, dem unendlich blauen klaren Himmel und das jeden Tag. Ich konnte nie genug von dieser wunderbaren Luft, von dieser Wärme bekommen. Und wenn ich in den weiten Himmel lange genug sah, kam es mir vor, dass ich dort oben war und frei in diesem atemberaubenden Blau durch die Lufte glitt!“ Sie blickte wehmütig zum Fenster hinaus und schauderte. „Bloß in diesem kalten feuchten Grau kann man sich nur das Kriechen und Würgen vorstellen.“
„Das passt gut zu dem, was ich draußen gesehen habe.“
„Du hast den Toten Wald noch nicht gesehen. Das ist der, der früher der Große oder der Magische genannt wurde. Dort fängt das Elend erst recht an. Wir waren ja nur eben vor der Tür. Und schon konnten wir nichts, was über die eigene Armlänge hinausgeht, sehen.“
„Gehen wir hin?“
„Wohin?“
„Zum Toten Wald?“
„Nein“, winkte Anna energisch ab. „Es ist zu gefährlich. Ich will nicht, dass du dort bewusstlos umfällst.“
„Tue ich nicht“, sagte Ian bestimmt.
„Oder von sonst noch welchen seltsamen Kreaturen angegriffen wirst“, fügte sie hinzu.
„Wieso sollte ich?“
„Ich will es nicht prüfen“, sagte sie ernst. „Es ist einfach zu gefährlich und tut überhaupt nicht Not. Schwertvögel, Echsen und sonstiges seltsames Geschöpf treiben dort ihr
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