Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
lachten, zogen ihren Nachbarinnen an den Zöpfen, und als diese sich mit gespielt empörten Gesichtern umdrehten, taten sie so, als ob sie gerade in ein Gespräch miteinander vertieft wären. Die Mädchen kicherten, regten sich auf, versicherten, dass sie den Streich ganz genau mitbekommen hätten und versprachen, dass sie beim nächsten Mal, wehe es eins geben sollte, eine schwere Rache üben würden. Die Jungs zogen die Schultern hoch und setzten unschuldige Mienen auf. Die Mädchen wandten sich aufgesetzt beleidigt ab und das Spiel ging von vorne los.
Auf einmal wurde es ruhiger in den Reihen. Die meisten Besucher hatten die Köpfe in den Nacken gelegt und blickten in den endlosen Sternenhimmel, in dem immer mehr Drachen auftauchten. Sie kreisten im silbrigen Vollmondlicht und bildeten mit ihren Körpern seltsame, bizarre Zeichen. Sie flossen ineinander über und wechselten sich in einem Rhythmus, der höchstens den Darstellern selbst, sowie der verborgene Sinn dieser himmlischen Runen, bekannt war. Ein Drachentan z. Der Gedanke schoss Anna plötzlich durch den Kopf . Der alte Faun hatte also recht. So etwas gab es in der Tat.
Sie hörte auf einmal ein aufgeregtes Flüstern hinter ihrem Rücken. „Omen“ und „geheime Drachensprache“ fielen deutlich klarer aus dem übrigen Redefluss heraus. Anna strengte sich an, konnte aber nicht erkennen, worum es eigentlich ging. Alles floss zusammen zu einem unverständlichen Kauderwelsch. Ohne sich umzudrehen, machte sie einige vorsichtige Schritte zurück, stellte sich hinter den dicken Stamm einer ausladenden Eiche und blickte verstohlen in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Zwei Spitzenhütte ragten von hinter den frischen, grünen Wipfeln der jungen Tannen. Die schwarzen Roben schimmerten durch die Zweige. Die Hexen tuschelten aufgeregt. Die eine sagte heiser: „Guck, sie drehen schon wieder dieses Zeichen!“
Nach einer kurzen Pause antwortete die andere mit einer dünnen, hohen Stimme: „Das ist wohl wahr! Wieder der große Kreis mit einer durchbrochenen Linie darin, wie ein Zickzack.“
„Ein Blitz ist es!“, schrie beinah die erste Hexe, ihre Stimme brach plötzlich ab. Sie hustete ausgiebig, dann räusperte sich und fuhr schließlich mit einer gehörigen Portion Hysterie in der Stimme fort: „Und jetzt ist der Kreis gebrochen! Er löst sich auf!“
Anna sah in den Himmel. Die Drachen formten bereits eine andere Figur. Es war etwas, das entfernt wie eine Bergkette aussah.
„Ich bin ja nicht so eine Großmagierin, die sich damit rühmt, aus dem Drachentanz die Zukunft genau voraussagen zu können“, krächzte die erste Hexe, “aber ich würde so weit gehen und sagen, dass das kommende Jahr unter keinem guten Zeichen steht!“
„Die alte Sprache ist zu schwierig. So jemand wie du kann sie eh nicht vernünftig deuten. Also halt lieber die Klappe“, schalt sie die Hexe mit der piepsigen Stimme.
„Ist doch wahr!“, schrie die Erste und hustete wieder. „Man muss ja blind sein, um das nicht zu erkennen! Es war das Zeichen des Todes, wie es im Buche steht!“
„Ach, das ist doch immer wieder das gleiche mit dir. Du nimmst wieder mal den Mund zu voll“, krakeelte die andere. „Keiner wird auf deine unsinnigen Theorien vom Tod und Weltuntergang hören. Also erspare uns lieber deine aus der Luft gegriffenen Prophezeiungen.“
Anna entfernte sich leise von den beiden Hexen und suchte Ian mit einem besorgten Blick zwischen den Besuchern. Seine schmale Gestalt zeichnete sich weiter vorne bei den Zuschauern ab. Die Jungmagierin näherte sich unauffällig ihm zu. Er hatte seinen Platz etwas abseits von einer Gruppe der Oberweltler gefunden, die, in den Himmel unverwandt blickend, die Figuren des Drachentanzes lauthals kommentierten, und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf einen etwa fünf Jahre alten Jungen mit rotblonden Locken, der in der ersten Reihe der Zuschauer stand. Hinter ihm erhob sich wie eine Mauer eine großgewachsene ältere Frau im dunklen, langen Blumenkleid. Ihre Hände ruhten auf den Schultern des Jungen. Es war kaum zu übersehen, dass ihr Schutz dem Kleinen sehr vertraut war, dass er es gar nicht anders kannte. Der Junge fühlte sich sicher und geborgen.
Alles, was um ihn geschah, sah er mit den Augen voller Staunen und Entzücken. Seine runden Bäckchen leuchteten rot vor Aufregung. Den Kopf in den Nacken gelegt, den Mund leicht geöffnet, die Lippen trocken, verfolgte er mit angehaltenem Atem die Drachen, die im
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