Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
waren, standen auf und taumelten wie ferngesteuert in den Großen Wald. Einige steuerten auf die große Wiese zu.“
„Und was hast du gemacht?“ Ians Augen leuchteten vor Aufregung.
„Ich habe ein wenig abgewartet, bis es vorbei war und ihnen nachgelaufen. Ich musste eh dort lang.“
„Feige kann man dich wohl nicht nennen.“
„Das tut nichts zur Sache.“ Sie lächelte müde.
„Und? Was war da?“
„Ich war noch rechtzeitig, um zu sehen, wie ein Untoter seinen Platz fand. Es sah aus, als ob er sich umsah, an der Luft schnupperte, dann fiel er hin und erstarrte in der gleichen Pose, in der er, wie ich es verstehe, tot gefunden wurde.“
„Und die anderen?“
„Ich habe einige gesehen, als ich weiter zu Alphiras Haus lief. Sie lagen schon dort, wo sie tödlich verletzt oder getötet wurden, und bewegten sich nicht mehr.“
„Hast du es jemandem erzählt?“
„Am nächsten Morgen fanden sie die Angehörigen oder eben jemand aus dem Bekanntenkreis. Was sollte ich denn erzählen? Ich wusste nicht, wer das alles veranlasst hatte, und die Tatsache, dass sie nicht mehr in den Gräbern waren, ließ sich nicht leugnen.“
„Hast du es Alphira erzählt?“
„Nein.“
„Und sonst jemanden?“
„Einer alten Hexe. Das sprach sich dann ziemlich schnell herum.“
„Und was sagten sie?“
„Schwarze Magie, munkelte man. Dagegen hatten wir nichts.“ Sie seufzte. „Jedenfalls, die Verwandten, die bereits sehr geschwächt von all den Geschehnissen waren, hörten irgendwann auf, die Opfer aufzusuchen und wieder zu begraben. Es war klar, dass sie am nächsten Tag an der Stelle ihres Todes oder ihrer tödlichen Verletzung auftauchen würden. Der Große Wald, die angrenzende Wiese und die anderen öffentlichen Plätze sahen bald wie eine riesige Leichenhalle aus. Mit der Zeit verschlimmerte sich die Lage noch. Es gab noch mehr Tote und der Wald selbst starb zusammen mit ihren Bewohnern. Der fruchtbare Boden wurde zu Sumpf, die ehemals gesunden alten Bäume zu den morschen Mahnmalen mit glitschigen schwarzen Stämmen, die ihre Zweige ohne Laub und Nadel in den dunkelgrauen Himmel ragten. Und dann fingen auch die Oberweltler an, also diejenigen, die noch am Leben waren, spurlos zu verschwinden. Die ganzen Familien, Clans und Siedlungen. Aber keiner fragte mehr so groß nach den Verschollenen. Sie waren tot oder eben weg. Und niemand konnte etwas dagegen tun.“
„Was heißt hier weg?“
„Von einem Tag auf den anderen waren sie nicht mehr da. Bis auf die Oma, die noch hin und wieder rausging, war kaum jemand anzutreffen.“ Anna blickte traurig in die Dunkelheit hinter dem Fenster. „Außer den Echsen, Schwertvögeln oder Untoten.“
„Nun, so wie es aussieht, war euer ganzes Glück nicht von Dauer.“
Annas Augen blitzten zornig auf. „Wenn du die Menschenwelt so sehr vermisst, kannst du sofort zurück!“
„Nein, so meinte ich es nicht“, lächelte Ian entrüstet. „Ich kenne eben eine ganz andere Welt, in der eher die wenigen Träume wahr werden, meiner Erfahrung nach, und nicht allzu viele Sachen ein glückliches Ende nehmen. Dass es so etwas wie Oberwelt gab, ist schon ein recht ungewöhnlicher Gedanke für mich. Aber die Idee an sich finde ich schon nicht schlecht.“
„Das war keine bloße Idee, es war unsere Wirklichkeit, unser Leben.“ Sie wandte sich von ihm beleidigt ab.
Bleischweres Schweigen verbreitete sich im Raum.
Anna sah zum Fenster hinaus. Das dunkle Grau dahinter gab sich dicht und unzugänglich.
„Ich frage mich, was oder wer dazu beigetragen hat, dass es die nicht mehr gibt. Und warum?“
Sie blickte ihn traurig an und sagte leise: „Es kommt jetzt nicht so sehr darauf an, den Schuldigen zu finden. Der ist mir so ziemlich egal. Ich möchte die Oberwelt zurück, so wie sie früher war, ein Ort, wo Träume wahr wurden.“
„Wie es sich anhört, ist es keine einfache Aufgabe.“ Ian sah sie fragend an. „Und vielleicht schließt das eine das andere nicht aus.“
„Gut möglich“, seufzte sie.
„Was war denn deine Rolle? Was hast du gemacht?“
„Ich war Omas rechte Hand so zu sagen. Sie hat mir alles Mögliche beigebracht, was sie selbst konnte. Die Pflanzenwelt der Oberwelt begeisterte früher jeden Kundigen durch ihre Vielfalt und die Sachen, die Oma daraus zauberte, waren schlichtweg genial. So etwas wie Kopfschmerzen ließen sich in ein paar Sekunden wegkurieren, wenn man die richtige Kräutermischung nahm. Verletzungen wurden mit Alphiras Salben in
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