Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Hals und sagte mit fröhlicher Stimme, in der eine gute Prise Erleichterung mitschwang: „Bin ich froh, dich wieder zu sehen!“ Sie drehte sich dann um, streckte ihre Hand in seine Richtung und sagte stolz: „Ich darf vorstellen. Das ist Ian.“
Diese musterte ihn eindringlich und zischte: „Da bis-s-st du j-ja-a.“
Seine Augen weiteten sich zusehends. Eine sprechende Schlange, mal was ganz Neues . Und wie riesig sie ist! Wie lang ist sie? Zu welcher Gattung gehört sie eigentlich? Ein Python etwa?
„Du brauchss -st nicht abschätzen, wie viele Meter lang ich bin. Das-s muss-st du nicht wiss-sen. Es-s bringt dir nichts-s. Und ein Python bin ich auch nich-cht.“
„Woher weißt du, was ich denke?“, fragte er verdutzt.
„Das-s is-st nicht besonders-s sch-schwer. Du lässt deine Gedanken s-s-stets offen. Jeder, der es für interessant genug hält, kann s-s-sehen und h-h-hören, was-s du gerade denks-s-st.“
Ian verzog die Miene, als wenn er etwas Bitteres verschluckt hätte. Diese Worte versetzten ihn in seine Kindheit zurück. Er war plötzlich wieder der kleine verängstigte Junge, der vor der Alten strammstand, während sie ihn in ihrer schrillen Stimme belehrte, er sollte gefälligst immer daran denken, seine Gedanken zu schließen. Seltsam . Was hat die Alte mit diesem Riesenpython zu tun? Warum erzählt er mir das Gleiche?
„Ich bin kein Python.“ Scharta schien ihn mit ihrem Blick durchzustechen. „Merke dir das. Und deine Alte, wie du sie nennst, hatte recht. Es ist sicherer für dich und für ein paar andere, wenn du deine Gedanken schließt. Sonst werden sie als Allgemeingut angesehen. Jeder, der Interesse daran oder einfach gerade nichts Besseres gerade zu tun hat, kann sie lesen.“ Sie fuhr ihren Riesenkopf vor und stellte ihn kurz vor seine Nasenspitze. „Wenn du die Gedanken aber schließt, kann es meist nur jemand lesen, dem du die Erlaubnis dafür erteilt hast.“
„Ich verstehe nicht viel davon“, winkte er ab.
„Und deshalb alles, was du hier sehen und hören wirst, werde ich für dich ausnahmsweise in der ersten Zeit schließen, soweit es geht. Es ist besser so.“
„Wer bist du?“ Er sah direkt in ihre Augen mit der schmalen, schwarzen, linsenförmigen Pupille, die die gelbe Iris senkrecht in zwei Hälften trennte.
„Ich heiße Scharta. Ich bin die Hüterin des Wissens. Und was deine Gedanken betrifft: Solange du sie offen lässt, darf jeder darin stöbern. So ist die Regel der Oberwelt.“
„Hätte ich damals auf die Alte hören sollen“, murmelte Ian.
„Späte Einsicht“, zischte sie.
„Lieber später als nie“, resümierte Anna in einer bemüht fröhlichen Stimme und stellte sich zwischen die beiden. Sie wandte sich zu Scharta. „Ich dachte, du wolltest uns etwas zeigen. Etwas, was uns weiter hilft.“
Die Schlange blinzelte und sagte leise: „Das ist eben die große Frage, ob es wirklich weiter hilft.“
„Das können wir nur heraus bekommen, nachdem du es uns gezeigt hast“, sagte die Jungmagierin und lächelte aufgesetzt.
Scharta nahm eine Fackel mit der Spitze ihres langen Körpers aus dem Halter und verteilte das Feuer über die rechteckige Wand. Die poröse Oberfläche wiegte sich unter den bläulichen Flammen. Es dauerte etwas, bis die ersten Bilder erschienen.
Plötzlich spürte Ian, dass eine enorme Kraft ihn in das Geschehen auf der Wand hineinzog. Er atmete tief durch, schloss die Augen und ließ es geschehen.
Anna sah ihn unweit am Rande der Großen Wiese stehen.
Die Sonne war bereits weg. Die Dämmerung setzte ein und der Boden war nass vom Abendtau. Der leuchtende Mondball schob sich gemächlich in den klaren, tiefblauen Himmel von hinter den Wipfeln der riesigen Tannen.
Die beiden waren zwischen den vielen Besuchern, die, um die große Wiese und im angrenzenden Wald verteilt, offensichtlich auf etwas warteten. Von ihrem Platz aus sah die Jungmagierin die Faunen und die Hexen, die Zwerge und Oger. Auch etliche Menschen waren da, die seit einiger Zeit in der Oberwelt lebten. Die meisten waren in Gruppen versammelt und unterhielten sich aufgeregt. Etwas weiter in den Wald hinein konnte sie auch Rehe, Füchse und Hasen im Unterholz erkennen. In der Mitte der Wiese loderte ein großes Feuer, das seine kräftigen bläulichen Zungen schnalzend in den Himmel reckte.
Eine Gruppe von Jungen und Mädchen, die Anna etwa als zwölf, höchstens dreizehn Jahre alt einstufte, reihte sich einige Meter entfernt davor. Die Jungs alberten herum,
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