Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
schweifen. „Jedenfalls, es ist keine schlechte Idee. Ich glaube, ich weiß, was er meinte. Zuhören, das ist das, was du tun solltest. Das müsste es bedeuten.“
Ian schüttelte den Kopf. „Verstehe ich nicht.“ Er schaute sogleich wieder heiter auf. „Aber gut. Das verstehe ich vielleicht später. Du wolltest mir etwas erzählen.“ Er setzte sich an den Tisch und sah sie aufmerksam an. „Dann lass uns anfangen.“
Kapitel 22. Er ist weg.
Ernst zog die quietschende Tür auf und trat hinein. Die feuchte warme Luft roch nach Zigarettenqualm, Heu und Terpentin. Die Alte stand hinter dem Herd über einen Topf gebeugt und rührte energisch darin mit einem hölzernen Kochlöffel. Sie blickte kurz zu ihm hoch, richtete sich dann auf, schob den Topf an den Rand der Kochfläche und stemmte die Hände in die Hüften. „Was verschafft mir die Ehre?“
Ernst rückte einen Stuhl von unter dem Tisch, setzte sich, sah direkt in ihr faltiges, von der Sonne gegerbtes Gesicht und fragte: „Hast du eine Ahnung, wo Ian ist?“
Die Alte schnappte eine zerquetschte Schachtel Zigaretten vom Regal hinter ihr und zündete sich eine an. Die Unterlippe trotzig nach vorne geschoben, nahm sie ein paar hastige Züge, dann stecke den Glimmstängel in einen überfüllten Aschenbecher, stellte ihn auf den Boden ab und sagte schulterzuckend: „Ist wohl fort.“
„Ich will wissen, wo er ist“, sagte er mit besorgter Stimme.
„Das kann ich dir nicht sagen.“ Sie zog eine gleichgültige Miene und blickte quer über die Küche zum kleinen Fenster hinaus, das nur spärliches Licht in den Raum ließ. Sie lehnte sich an die Wand hinter ihr, die linke Hand unter der Brust verschränkt, zündete die nächste Zigarette an und verhüllte sich in den graublauen Dunst.
„Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?“ Ernst beugte sich nach vorne, sein weißer Bart streifte die Tischplatte.
„Vor paar Tagen.“ Sie zog erneut an ihrer Zigarette.
„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Je ausführlicher du mir meine Fragen beantwortest, desto schneller bin ich hier weg. Ich glaube nicht, dass du willst, dass ich die halbe Nacht noch mit der Ausfragerei verbringe“, sagte er ruhig aber bestimmt. „Ich will wissen, was passiert ist. Warum ist Ian nicht mehr da?“
Die Alte rollte die Augen zur Decke, die seit Jahren keinen neuen Anstrich gesehen hatte und schwieg.
„Ist es so ein großes Geheimnis oder willst du einfach nicht mit mir reden?“ Der alte Mann blickte sie verärgert von unter seinen buschigen weißen Brauen an. „Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr von der Arbeit kommen gesehen.“
Sie schwieg, zog an ihrem Stummel zum letzten Mal und löschte ihn aus. „So.“ Es klang fast fröhlich. Sie schritt zum Herd und schob den dämpfenden Topf auf die heiße Platte wieder. „Was soll ich mit dir reden?“, fragte sie ungeduldig, nahm ihren langen Holzlöffel und rührte wieder die nach Heu und Kiefernnadeln riechende Masse im Topf um.
„Ich will wissen, was mit Ian passiert ist. Hat ihn etwa diese Bestie geholt?“ Seine Augen blitzten auf. „Und du hast es zugelassen? Du weißt, du kannst mir Bescheid geben, wenn du Hilfe brauchst.“
„Kommt drauf an, wen du die Bestie nennst“, parierte die Alte, tauchte herunter und schob zwei neue Holzscheite in den Ofen.
„Er wurde also abgeholt.“
„Sieht so aus“, krächzte sie, kam wieder hoch und schob den Topf an die Ecke der Kochplatte zurück.
Ernst erhob sich. Sein weißer Kopf streifte beinah die Decke. „Wer war das?“
„Gut, damit du mich nicht weiter nervst.“ Sie seufzte ergeben, legte den Löffel ab, zündete eine weitere Zigarette an und verkündete: „Es war eine junge Frau, die sich Anna nannte. Sie hat hier noch keiner gesehen. Sie zauberte schnell aus zwei Feldmäusen zwei Gänse, die sehr ähnlich denen aussahen, die an diesem Tag verschwunden waren. Ich hatte den Jungen die Viecher suchen geschickt. Aber er zog vor, mit diesem Mädchen in ihren Flugeimer zu steigen und weg war er. Seitdem ließ er nichts mehr von sich hören. Zufrieden?“
„Anna hast du gesagt?“
„Ja“, nickte sie. „So hatte sie sich vorgestellt.“
„Noch etwas Besonderes an dem Mädchen?“
Sie zuckte die Schulter. „Eben ein Mädchen wie so viele andere. Dünn, nicht besonders groß, dunkles, eher kurzes Haar, haben die Feldmäuse berichtet.“
„Seltsam“, murmelte Ernst. „Wenn sie eine Magierin wäre, warum dann kurzes Haar? Das passt nicht
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