Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
bestimmten Sachen nicht mehr. Diese waren aus ihren Köpfen wie ausgelöscht.“ Sie bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick.
Der junge Mann schwieg und schaute nachdenklich zum Fenster hinaus.
„Alphira konnte kaum etwas dagegen tun“, seufzte Anna. „Denn bei den geteilten Gedanken war es so, dass eine Kopie davon noch bei jemandem blieb. Das war aber auch gleichzeitig eine sichere Verfolgungsspur. Wenn die Grausame bestimmte Gedanken aus der Welt haben wollte, dann löschte sie diese in der ganzen Gruppe aus, die das Thema teilte. Später kam es noch schlimmer. Die entstandene Leere pumpte sie mit ihrem Gedankengut voll.“
„Mit welchem?“, fragte er und wandte sich ihr wieder zu. „Und warum?“
„Es waren ihre Vorstellungen davon, was sie zu tun hatten, was ihnen angeblich wichtig war. All den Mist, den sie in ihren Köpfen brauchte, um aus den Oberweltlern ihre treuen Handlanger zu machen. Sie sollten nicht mehr wissen, wer sie gewesen waren, was sie gerne getan hatten und wo ihre Familie war. Das könnte sie ja von ihrer neuen Aufgabe ablenken. Bei ihren Sklaven sollten die Köpfe leer sein, damit sie über diese nach ihrem Gusto verfügen könnte. Nach so einer Gehirnwäsche waren sie stolz darauf, ihre Befehle sofort und so gut sie konnten auszuführen. Auf diesem Wege hatte sie in der ersten Zeit ihre Diener geschaffen. Immer mehr davon. Eins hatten sie alle gemeinsam. Sie hinterfragten nie, warum sie etwas tun mussten. Sie führten ihre Befehle eifrig aus, koste es, was es wolle. Letztendlich waren sie im kleinen Maße eine Kopie ihres selbst, verstehst du? Nicht so gerissen und geschickt, mit deutlich weniger magischer Kraft und Wissen. Es war ihr aber auch recht. Denn schließlich, die Masse macht es.“
„Und woher weißt du das?“
„Scharta zeigte mir die Grausame und ihr Reich. Noch mehr kam aus anderen Quellen. Ich habe es alles leider viel zu spät erfahren“, seufzte sie und fuhr mit trauriger Stimme fort. „Bis vor Kurzem wusste ich einfach nicht, wer hinter all diesen ungeheuren Entwicklungen in der Oberwelt steht.“
Ian starrte gedankenverloren auf das Grau hinter dem Fenster und schwieg.
„Jetzt bist du baff.“ Anna sah ihn fragend an. „Erzähl, du hast doch was. Das sehe ich doch, ohne in deinen Gedanken zu lesen.“
Er berichtete kurz, was er in der Kammer der Herrscherin erlebt hatte. „Das Schlimmste war“, sagte er ernst, „ich spürte so etwas wie Genugtuung dabei, als ich in diesem Albtraum der Schwarzer Prinz war und die Oberweltler richtete.“ Er schüttelte kräftig den Kopf. „Als ich aufwachte, war mir speiübel. Mein Magen machte es nicht mit. Ich dachte, er kommt mir oben heraus. Und es hörte einfach nicht auf.“ Er atmete tief durch. „Ich wünschte, ich könnte meinen Kopf genauso leeren“, seufzte er und nahm einen Schluck vom kalten Tee.
„Die Grausame hat ihre Waffen an dir also bereits getestet.“ Die junge Frau sah ihn mitleidig an „Dann weißt du aus deiner eigenen Erfahrung, warum du deine Gedanken schließen solltest. Du siehst, sie bricht in die Gedankenräume ihrer Opfer ein und pumpt sie mit ihrem Mist voll, als wenn es eine Selbstverständlichkeit wäre. Dabei war es immer ein Verbrechen in der Oberwelt, ohne Erlaubnis über die Gedanken anderer zu verfügen. Es kann passieren, dass sie dir gar nicht mehr aus dem Kopf geht. Dann bist du ein Untoter, wie so viele andere Oberweltler, die wir an sie verloren haben.“
„Tolle Perspektive.“
„Nicht nur das. Wenn sie etwas von unseren Plänen erfährt, dann ist das Spiel für sie kinderleicht. Und so angenehm wollte ich es ihr nicht machen. Sie hat schon enorme Vorteile uns gegenüber. Daher ist es besser, ihr keine Bonuspunkte zu verschenken. Wir brauchen sie alle selbst.“
Er nickte.
„Es ist also extrem wichtig, die Führung und ständige Kontrolle über die eigenen Gedanken zu behalten. Wenn man es versäumt, ist man nicht mehr frei. Und im schlimmsten Fall verliert man sein Selbst.“
„Und wie geht das? Den Gedankenraum zu schließen?“
„Ganz einfach.“ Anna nahm einen Keks und schluckte ihn samt dem Inhalt ihrer Teetasse herunter. „Du stellst dir sehr klar und bildhaft vor, dass dein Kopf durch eine dicke Mauer, eine undurchdringliche Kuppel von allen Seiten sicher von der Außenwelt abgeschirmt ist. Keiner kann da rein.“
„Das klingt so einfach.“
„Das ist es auch. Man muss es nur tun und diese Mauer, wenn nötig, beibehalten. Das ist
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