Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
alles.“
„Gut“, sagte Ian. „Ich kann es mal versuchen.“
„Tue es gleich. Das musst du können. Das ist nicht schwieriger als Gedankenlesen. Eher einfacher. Und das kannst du ja bereits. Also nur zu. Versuche es, ich sehe nach, wie es dir gelingt.“
Er tat wie geheißen, seine Miene voller Konzentration.
„Das sieht gut aus!“, verkündete Anna nach einer Pause. „Du hast eine Kuppel aus dickem Beton um deine Gedanken gesetzt. Ich komme da nicht rein.“
Der junge Mann atmete erleichtert aus. Dann verzog er das Gesicht und sagte: „Ja, aber ich muss diesen Zustand auch noch halten. Das ist nicht so einfach.“
„Das kommt mit der Zeit. Hauptsache, du kannst es. Und du denkst daran, dein neues Können auch rechtzeitig anzuwenden. Wenn du merkst, dass jemand in der Hinsicht etwas von dir will, schließe sofort deinen Gedankenraum, stelle eine undurchdringliche Abwehr um deinen Kopf herum und denke an nichts. Du weißt ja, sobald du das Kommando über die eigenen Gedanken verloren hast, bist du selbst verloren.“
„Ich habe eine Idee!“ Er sprang auf und lief aufgeregt durch das Zimmer. „Wenn diese Frau es für möglich hält, in meine Gedanken einzubrechen, dann kann ich es genauso gut tun. Wenigstens versuchen, sie abzufangen. Ich will eigentlich nirgendwohin einbrechen. Aber ich hätte gerne gewusst, was sie wirklich denkt.“
Anna blickte skeptisch. „Naja. Viel Gutes wirst du da wahrscheinlich nicht finden.“
„Das ist gerade egal. Ich will einfach testen, ob ich es kann. Und ich will Rache, zumindest dadurch, dass ich in ihre Gedanken reingehe. Sie hat wohl keine Skrupel gehabt, in meine Privatsphäre einzudringen und meinen Kopf mit ihrem Mist vollzupumpen.“
„Skrupel oder Rücksicht, das sind Fremdwörter für sie, wie es aussieht.“
„Na dann, wo ist das Problem?“
„Du weißt nicht, ob sie dir nicht noch irgendwie schaden kann, wenn sie merkt, dass du in ihren Gedankenräumen herumwanderst. Vor allem, willst du echt wissen, was für Ideen sie mit sich herumschleppt?“
„Ich kann mich wehren. Du hast mir doch etwas beigebracht. Und ja, ich will ihre Gedanken erfahren. Das wäre zumindest eine Genugtuung für mich. “
„Gut“, gab sie seufzend auf. „Mach es aber kurz. Wir haben noch jede Menge zu tun.“
Ian dachte an die Herrscherin der Unterwelt, stellte sich vor, wie er in ihren Gedankenraum hereinkommt und nach einer Pause winkte er ihr zu: „Ich glaube, ich hab’s. Sie hält alles offen. Komm in meinen Gedankenraum rein.“
Anna tat wie geheißen und hörte die kühle Stimme der Herrscherin: „Keiner wird mir im Weg stehen. Die ganze Andere Welt werde ich bald meine nennen! Ich werde Geschichte neu schreiben! Nach der neuen Fassung gab es nur die Unterwelt. Und alles gehörte mir! Schon immer. Alles hört auf meinen Befehl und kriecht vor mir! Alles fürchtet die Grausame! Da wird keiner mehr etwas zu lachen haben. Leid und Kummer gedeihen besser im Dunklen. Das Grau, die Kälte und die Angst werden die Andere Welt beherrschen. Sie sind das Beste für meine Sklaven und Diener. Das macht sie schön gefügig und willenlos. So, wie sie sein sollen. Sie hatten keinen Willen, keinen Mut, ihr wahres Leben zu leben. Eine tolle Entscheidung. Und jetzt sind sie auf ewig meine Sklaven! Ha-ha-ha! Wenn sie keinen Lebenswillen mehr haben, wozu sollen dann all ihre Schätze gut sein? All das Gold, das Silber, die Diamanten? Die brauchen sie gar nicht mehr, die wollen sie gar nicht. Aber ich! Ich will alles! Unmengen von Lebensenergie und Schätze aller Welt! Ja, ich besitze bald alles! Alles! Alles! Für immer!“
Ian kappte die Verbindung ab. „Huh, was für ein Mist!“ Er schüttelte kräftig den Kopf.
Anna hatte sich während der Rede auf den Stuhl geplumpst und saß nun wie versteinert da. Ihre Augen weit aufgerissen, starrte sie in das gleichmäßige Grau hinter dem Fenster.
Ian lief in die Küche und brachte ihr ein Glas Wasser.
Sie leerte es in einem Zug und blieb sitzen, mit dem Blick ins Leere gerichtet.
Er wedelte mit seiner Hand vor ihren Augen. „Hallo, noch jemand da?“
Sie wandte sich langsam zu ihm und sah ihn ausdruckslos an. „Ja, ich bin da. Ich bin bloß …“ Sie atmete tief aus und fuhr fort: „Dachte ich mir doch, dass nicht viel Gutes dabei rauskommt. Aber so etwas ...“ Sie stand auf, ging zum Fenster, blickte hinaus und setzte hinzu: „Als wenn es jetzt schon nicht schlimm genug wäre.“
Ian folgte ihr und stellte sich
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