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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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kriecherisch vor. So wie bei jemandem, der freundlich tut, um einen anderen milde zu stimmen, bevor er um einen Gefallen bittet – „Gott, ich glaube im Grunde nicht, dass es Dich gibt. Egal was McCandle sagt. Aber man weiß ja nie.
    Ich liebe Annabell. Am Anfang wollte ich sie nur ins Bett bekommen, obwohl sie meine Schwester ist. Das war nicht richtig, aber es tut auch nichts weiter zur Sache, denn mittlerweile liebe ich sie aufrichtig. Ich liebe sie mehr, als ich mir vorgestellt hätte, lieben zu können. Sie ist mein Ein und Alles. Sie ist mein Leben. Wenn ich sie verlieren würde, wäre ich am Ende. Du könntest mich gleich mit ihr sterben lassen. Vielleicht würde ich das sonst auch selbst in die Hand nehmen. Vermutlich ist Dir das egal, weil ich sowieso nicht an Dich glaube. Aber selbst wenn Du mich bestrafen willst, weil ich meine eigene Schwester liebe und mit ihr schlafen möchte, bitte ich Dich: Mach sie gesund. Sie kann nichts dafür. Sie glaubt an Dich. Bitte, mach sie gesund. Mach sie gesund …“
    Und ich wiederholte diese Worte immer wieder und in den verschiedensten Variationen. Und irgendwann wurde ich träge und ein tiefer Schlaf kam über mich.

62.      Kapitel

 
 
    Als ich erwachte, fühlte es sich an, als sei nur ein Wimpernschlag vergangen, doch die Morgendämmerung streckte bereits ihre blassen, dürren Finger durch die großen Fenster. Aufwachen ohne Annabell an meiner Seite – und das für den Rest meines Lebens. Tränen stiegen mir in die Augen bei dem Gedanken. Ich würde …
    Doch was war das? Von unten kam ein Geräusch, das mich aus meiner Melancholie riss. Ein Klappern. Wie von Geschirr. Doch außer mir war niemand im Haus, der mit Geschirr klappern konnte. Das konnte nur bedeuten … Einbrecher.
    Mit einem Mal war ich hellwach. Ich schnellte aus dem Bett, huschte jegliches Geräusch vermeidend zum Wandschrank, nahm zwei Dinge heraus: Einen Hausmantel, den ich mir überwarf – man möchte sich nicht die Blöße geben, im Pyjama vor Einbrechern zu stehen – und einen Baseballschläger, den ich nach unserem Erlebnis mit dem Glatzkopf für solche Fälle angeschafft hatte. Danach ging ich leise zurück zum Nachttisch, wo ich eine halb automatische Pistole italienischer Produktion aus der Schublade zog. Bei der Auswahl des Modells und einigen Runden auf dem Schießstand hatte mir Sergeant John zu Seite gestanden. Ich entsicherte die Waffe und steckte sie in die Manteltasche. Fürs Erste sollte mir der Prügel genügen. Wenn es brenzlig wurde, könnte ich die Schusswaffe immer noch ziehen. Das hoffte ich zumindest. John hätte nur den Kopf darüber geschüttelt, doch ich wollte nicht das Risiko eingehen, überhastet jemanden zu erschießen.
    Konnte es sein, dass … Es war abwegig, aber nicht unmöglich, dass der Teufel zurück nach South Port gekommen war und mir nun nach dem Leben trachtete oder Schlimmeres. Onkel Charlton hatte mir versichert, er sei in guten Händen hinter festen Gittern. Doch meine Fantasie lief Amok. Wie hatte er es nur aus dem Gefängnis geschafft? Vielleicht waren seine Handlanger im Haus, Männer, die damals nicht dabei gewesen waren.
    Langsam schlich ich zur Schlafzimmertür, blieb dort stehen und horchte. Nichts. Ich schob die Tür behutsam einen Spalt weit auf und spähte vorsichtig hinaus, den Baseballschläger in Position, bereit jede Schulter zu zertrümmern, an der ein Arm mit Messer oder sonstigem Werkzeug hing. Der Flur lag verlassen im Halbdunkel.
    Die Luft schien rein und ich wagte auf leisen Sohlen die Schritte zur Treppe. Auch in der Eingangshalle war niemand zu sehen, doch aus der Küche kam ein Geräusch – wie das Zuschieben einer Schublade. Sie waren in der Küche. Ziemlich dämlich von den Einbrechern, nicht die Treppe im Auge zu behalten, dachte ich noch. Vielleicht hatte ich es doch mit Anfängern zu tun. Umso besser für mich.
    Ich schlich die Treppe hinunter. Ganz langsam. Schritte für Schritt. Mit zitternden Knien und barfuß, denn das alte Holz der Treppe hatte die Angewohnheit, an einigen Stellen ganz fürchterlich zu knarzen – ein Hinweis auf meine Anwesenheit, den ich lieber vermeiden wollte.
    Ich hatte die Treppe beinahe komplett gemeistert, als auf der drittletzten Stufe oder der drittersten – ich bin mir nicht sicher, aus welcher Perspektive man Treppenstufen zu zählen pflegt – ein so ohrenbetäubendes Knarren erklang, dass ich sicher war, die halbtaube Mrs. Fullton von nebenan müsse es gehört haben. Ich hielt

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