Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
er hat einen Chirurgen dafür bezahlt, ihm eine Nase von der Stange zu verpassen und wir haben noch unsere eigene. So oder so: Wie können wir uns bei verschiedenen Ausgangslagen sinnvoll vergleichen?
Nun mag es aber wiederum sein, dass der andere die Vorteile, die wir zu erkennen vermeinen, gar nicht hat. Nehmen wir an, wir halten ihn für glücklich und er macht auch den äußeren Eindruck. Aber ist er es wirklich? Können wir der Scharade trauen, die er uns und der Welt spielt?“
Ob Mr. Hawthorne wohl glücklich war? Ich hatte mir diese Frage eigentlich nie gestellt. Was war mit meinen Freunden? Jack war es nicht gewesen. Soviel stand fest. Doch der Reverend war noch nicht fertig:
„Nun mag es im Extremfall sein, dass wir dem anderen tatsächlich in jeder Hinsicht unterliegen, die uns in den Sinn kommt – vielleicht sind unser Sinn und unser Maßstab für Vor- und Nachteil ja begrenzt. Wozu führt dann der Vergleich? Wir empfinden unser Dasein als weniger schön, sind weniger zufrieden mit unserem Leben, als wir es sein könnten, wenn wir die Vorteile des anderen gar nicht zur Kenntnis nähmen. Mehrt es unser Glück, wenn wir es mit dem anderer messen?
Nehmen wir auf der anderen Seite an, wir machen das Rennen, wir sind besser als der andere. Das ist nicht weniger, sondern vielleicht sogar noch eher gefährlich: Statt dem Herrn für den Vorteil zu danken, mit dem er uns ausgestattet hat, oder uns zu fragen, ob wir unser Leben sinnvoll gestalten, wenn wir jeden Tag damit verbringen, unser Handicap zu verbessern oder verbissen an anderen Fähigkeiten zu arbeiten, geraten wir in die Gefahr, auf den anderen herabzusehen und uns in der vermeintlichen Überlegenheit zu sonnen. Wir geraten, wie ich in meiner Jugend, in die Gefahr, dieses Gefühl der Überlegenheit über den Mitmenschen zu brauchen, es ständig herbeizusehen, abhängig von diesem Erfolg zu werden. Menschen unternehmen mitunter die absonderlichsten Anstrengungen, um sich einem Mitmenschen überlegen zu fühlen. Ich muss daran nicht teilnehmen, indem ich mir ein riesiges Boot anschaffe, dass Charlton sich niemals leisten könnte. Allenfalls könnte ich für uns beide eines anschaffen. Aber ich bin mit seinem Boot wirklich zufrieden.“
„Sind Sie also gleichzeitig Multimillionär und verkappter Kommunist, Reverend? Jedem das Gleiche?“
„Es geht keineswegs um gemeinschaftliches Eigentum, sondern um das gemeinschaftliche Erlebnis. Das Erlebnis mit Freunden. Geteilte Freude. Und es geht darum, eine vorhandene Sache auszukosten und zu genießen. Das fällt vielen Menschen nicht leicht. Sie genießen immer nur das kurze Glücksgefühl, das sie erleben, wenn sie sich etwas Neues oder Größeres oder Besseres anschaffen oder erreichen – die Werbung schreibt es ihnen so vor. Die Menschen schaffen es kaum, sich an einfachen Dingen zu erfreuen – wie etwa dem berühmten epikureischen Stück Käse. Wenn wir erkennen, dass die vergänglichen Dinge nicht das sind, worum es im Leben geht, so kann uns jedenfalls nicht daran gelegen sein, allen Menschen gleich viel an kostspieligen und prestigeträchtigen Dingen zukommen zu lassen.“
„Aber viele kostspielige Dinge haben einen ästhetischen Wert. Sie sind prestigeträchtig nicht nur, weil sie rar und teuer sind, sondern auch und gerade deswegen, weil sie perfekt hergestellt und einfach schön sind.“
„Viele Dinge repräsentieren Werte, Lebenseinstellungen, sind Symbol. Sie tragen Schönheit nur oder zumindest auch, weil wir sie ihnen beilegen, und das tun wir oft, weil sie rar und teuer sind. Selbstverständlich gibt es manchmal Dinge, die mich reizen. Glauben Sie nicht, ich wäre über sämtliche Verlockungen des Lebens erhaben. Ganz im Gegenteil: Wenn ich ein hübsches Mädchen oder eine schöne Frau sehe, fühle ich mich von ihr angezogen. Wenn ich Ihren Wagen sehe, bewundere ich ihn – er erinnert mich an die alten Tage: Ich hatte ein dunkelgrünes Jaguar Cabriolet mit beigefarbenem Leder, das wirklich eine Wucht war. Aber bei all diesen Dingen, die mich anziehen, versuche ich, mich davon abzubringen, sie für mich selbst besitzen zu wollen. Ich betrachte ihre Existenz, das heißt, ihre besondere Schönheit, das besondere Gut, das sie aufweisen, mit Wertschätzung. Ich freue mich darüber, dass es sie gibt. Das ist es, was in meinen Augen ‚Begehre nicht Deines Nächsten Was-auch-immer’ bedeutet. Würdige es, erfreue Dich daran, aber begehre nicht, es selbst besitzen zu wollen.“
„Doch es
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