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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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beleidigt. Mitunter frage ich mich, ob das Beruhigungsmittel, das Dr. Summers Annabell verabreicht hatte, zu ihrem Bericht geführt hat, ob sie alles nur geträumt hat oder ob ich selbst geträumt habe. Oft bin ich mir nicht sicher, was in diesen Tagen Wirklichkeit war, was Fantasie. An andern Tagen frage ich mich, ob Annabells derartig spezielle Nahtoderfahrung nicht doch allein auf ihre religiöse Erwartungshaltung zurückzuführen war und ob mein eigenes Erlebnis einer transzendenten Gegenwart lediglich auf dem enormen Stress in dieser Ausnahmesituation wurzelt und somit letztendlich auf eine Hormonausschüttung oder dergleichen, eine rein körperliche Reaktion, zurückzuführen ist. Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen habe ich verschiedene Untersuchungen zu Nahtoderfahrungen anderer Menschen studiert und Stellungnahmen von Hirnforschern und Psychologen gelesen habe, ohne am Ende einen Schritt weiter gekommen zu sein. Ich weiß lediglich, dass ich nichts mit Sicherheit weiß.
    Als ich einmal mit McCandle darüber sprach – ja, die Angelegenheit ist mir tatsächlich so ernst, dass ich es riskiert habe, mich einem seiner Vorträge ausgesetzt zu sehen -, sagte er nur: „Sie haben diese Erfahrung gemacht. Kein anderer kann beurteilen, was Sie erlebt haben. Und wenn Sie keinen konkreten Anlass haben, an der Authentizität zu zweifeln, warum vertrauen Sie Ihrem Gefühl nicht einfach? Da Sie keine Aufforderung zum fanatischen Massenmord gehört haben, dürfte das für Sie und andere gefahrlos sein. Die Ergebnisse mancher Hirnforscher würde ich allerdings mit der Skepsis betrachten, die Sie sonst für das Religiöse reservieren – sie deuten ihre Ergebnisse auf der Grundlage ihrer Theorie der reinen Materie. Mentale Zustände sind für sie nur Abfallprodukte von Gehirnaktivität.“
    Doch McCandle kann ihn mir letztendlich nicht nehmen, den Zweifel, – er nagt weiter an mir, auch jetzt, in diesem Augenblick – doch dazu später mehr – falls wir noch dazu kommen. Zunächst wollen wir sehen, was weiter geschah.

Fünfter Teil

68.      Kapitel

 
 
    Obwohl Annabell nach einer weiteren Woche vor Gesundheit strotzte, bestand Dr. Mercer darauf, sie noch für ein paar Tage zur Beobachtung im Krankenhaus zu behalten. Er traute der plötzlichen Genesung nicht und wollte einen eventuellen Rückfall zum frühestmöglichen Zeitpunkt erkennen. Annabell war zunächst gar nicht davon angetan, denn sie fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr und wollte gern endlich wieder nach Hause. Auch ich hatte Zweifel an der Notwendigkeit, hatten die Ärzte doch aus meiner Sicht schon beim ersten Mal die Krankheit nicht behandeln können. Da es aber nicht schaden konnte, Dr. Mercer seinen Wunsch zu erfüllen, erklärten wir uns mit einer weiteren Woche einverstanden.
    Ich wollte den Tag dazu nutzen, nach Boston zu fahren, um dort nach längerer Zeit einmal wieder nach dem Rechten zu sehen. Es war ein ungewöhnlich kühler Tag. Ein Hauch von Herbst lag in der Luft, sodass ich das Verdeck geschlossen ließ. Als ich am Highstone Komplex ankam, erwartete mich die erste unangenehme Überraschung:
    Ich wollte den Wagen auf seinem angestammten Platz in der Tiefgarage parken, doch das Zufahrtstor streikte. Ich zog die Chipkarte aus dem Schlitz der Anlage, wischte sie an meiner Hose ab und versuchte es wieder und wieder, doch es tat sich nichts. Verdammt. Verärgerung, steigender Blutdruck und eine innere Verkrampfung waren meine gewohnte Reaktion auf eine derartige Widrigkeit des Lebens. Doch dieses Mal wollte ich dem Ärger nicht nachgeben. Ich hatte eben erst erleben dürfen, wie Annabell gesund wurde. Ich war der glücklichste Mensch der Welt. Im Vergleich zu einem solchen Geschenk, das das Leben mir gemacht hatte, durfte ich mich nicht über eine Belanglosigkeit wie dieses Tor aufregen. Ärger über solche Kleinigkeiten schadet nur der eigenen Gesundheit. Ich atmete also tief durch, drückte den Knopf, der eine Sprachverbindung mit dem Empfang des Highstone herstellte und starrte in die Linse der kleinen Kamera.
    „Guten Morgen, was kann ich für Sie tun.“
    An der Stimme erkannte ich, dass es ein Mann namens Paul war, der gerade Dienst hatte.
    „Guten Morgen, Paul. Stimmt etwas mit dem Tor nicht? Ich komme nicht hinein.“
    „Wer ist dort bitte?“, antwortete die Stimme. Eine Spur von Spott lag darin, nicht der servile Tonfall, den ich von Paul gewöhnt war.
    „Was soll der Unsinn, Paul? Hier ist Ethan Meyers und das

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