Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
suchte wiederum nach Worten.
„Lass Dir Zeit. Wir haben alle Zeit der Welt, Liebling. Du warst lange Zeit ohne Bewusstsein.“
„… ich …“ Sie hielt inne. „Die ganze Zeit über. Ich habe es gespürt, wenn Du da warst …Ich kann mich an nichts erinnern. Aber ich weiß, Du warst da und … Aber ich konnte nie … Ich konnte mich nie dazu bringen, zuzuhören … oder etwas zu sagen. Ich war so … müde.“
Sie schloss die Augen, öffnete sie dann wieder.
„Die Müdigkeit wurde immer größer. Dann war da … Kälte. Ein taubes Gefühl. Es kroch in mir hoch. Von den Füßen und Händen. In die Beine, in die Arme …“
„Dein Herz hatte aufgehört zu schlagen.“
„… es wurde immer kälter. Ich hatte das Gefühl … Das Gefühl zu versinken. Wie in einem eisigen Wasser. Es zog mich nach unten. In die Dunkelheit. Aber ich hatte … ich hatte keine Kraft dagegen anzukämpfen. Keine Kraft. Ich war so müde, Ethan, so müde …“
Ein Schauer lief durch ihren Körper. Sie sah mich entschuldigend an.
„Du lebst, mein Engel. Du hast nichts falsch gemacht.“
„… ich wollte nur noch versinken. Das Eiswasser brannte auf meiner Haut. Es brannte in mir. Dann war da ein Schlag … So als ob mir jemand in den Magen geboxt hätte …“
Der Stromstoß.
„Dann wieder eisige Kälte. Finsternis. Es war so kalt, Ethan. Ich wollte nur noch, dass es aufhört.“
„Es hat aufgehört. Es ist vorbei.“
„Doch Ethan, Du kannst es Dir nicht ausmalen … als es nicht mehr zu ertragen war … da war … Licht – nicht grell, wie Neonlicht – warmes Licht. Da war diese Wärme … Wie Frühlingssonne. So sanft. So wunderbar sanft, Ethan. Wie … wie barfuß auf weichem Moos. Aber von einer kraftvollen Hitze … wie Feuer, wie flüssiges Eisen, wie die Oberfläche der Sonne, nur noch viel stärker.“
Tränen liefen wieder über ihr Gesicht bei der Erinnerung.
„Die Wärme rollte über mich wie eine Welle. Die Taubheit, die Kälte, die Dunkelheit, alles wurde weggespült. Jede Faser, jede Zelle in meinem Körper wurde erfüllt von dieser Wärme, Ethan.“
Sie sprach schneller, ohne zu zögern. Ihr Pulswert erhöhte sich, aber nur ein wenig, nicht wie zuvor.
„Es fühlte sich so lebendig an. Wie soll ich es beschreiben, Ethan? Wie kann man beschreiben, wie sich Leben anfühlt? Ich war angefüllt von Leben. Und das Leben umgab mich. Aber da war noch mehr, so unendlich viel mehr. Ich wollte darauf zu gehen, danach greifen. Wollte zu der Quelle. Und ich bewegte mich darauf zu, obwohl mich die Wärme völlig umgab und aus keiner bestimmten Richtung kam. Ich spürte den Weg. Aber ich konnte das Ziel nicht erkennen. Es war verborgen – wie hinter einem Schleier. Und je weiter ich ging, desto mehr spürte ich das Leben in mir. Bei jedem Schritt, war es, als müsste ich platzen, und gleichzeitig war da ein immer größerer Raum in mir, konnte ich es nicht erwarten, den nächsten Schritt zu gehen. Das Verlangen danach war wie nichts, was ich jemals gefühlt habe. Ich wusste, könnte ich den Schleier beiseiteschieben und hindurch schreiten, wäre ich zu Hause. Und als ich den Schleier greifen wollte, war da diese Stimme. Es war kein Geräusch. Die Stimme war in mir und um mich. Es war meine eigene Stimme. Wie die eigene Stimme im Kopf, wenn man denkt und doch eine ganz andere. Sie war wie die Wärme und das Licht, oder eher: Sie war das Licht. Sie war die Wärme. Nur dass sie einen bestimmten Ausdruck annahmen. Es war wie das Zwitschern der Vögel am Morgen und gleichzeitig wie das Tosen des Meeres in einem Sturm. Von unbeschreiblicher Schönheit.“
Die Tränen rannen nun nur so aus ihren Augen, aber sie sprach weiter:
„Und ich fühlte die Stimme, als ich nach dem Schleier greifen wollte, und sie sagte: ,Tu das nicht, mein Liebes. Es ist nicht die Zeit.’ Und es war so wunderbar, diese Stimme zu hören. Ich wollte mehr. Ich wollte ihr immerfort zuhören.
Und ich antwortete: ,Aber ich will zu Dir. Schicke mich nicht fort.’
Und die Stimme antwortete: ‚Mein Liebes, Du musst nicht fort. Ich bin bei Dir. Ich bin bei Dir, seit Dein Name das erste Mal gedacht wurde. Und ich bin bei Dir, wenn die Welt und ihre Zeit nicht mehr sind – immer. Doch für Dich ist es nun an der Zeit, aufzuwachen.’
,Aber wenn ich aufwache, werde ich Dich nicht mehr spüren.’ Ich wusste in diesem Augenblick, dass es so sein würde. Ich wusste, wohin ich zurückgehen würde.
‚Das ist wahr. Und so muss es sein’ antwortete die
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