Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Leute, die Deine Freunde werden könnten.“
Als ich dem Reverend gegen Mittag seinen Wagen zurückbrachte, focht ich einen inneren Kampf aus: Sollte ich mir den Porsche und die Uhr zurückholen oder sein Geld nur für das Notwendige einzusetzen, nämlich das fällige Bankdarlehen.
McCandle erkannte den Zwiespalt: „Ethan, ich sehe Ihnen doch an, dass Sie nicht über das Auto und die Uhr hinweg sind. Es ist nicht so leicht, einen einmal gesetzten Standard zurückzuschrauben. Wenn Sie das Geld nicht annehmen, werden sie den Sachen nachtrauern und die Idee, dass sie sie brauchen, wird sich umso hartnäckiger bei Ihnen festsetzen. Wenn ich Ihnen aber jetzt das Geld leihe und Sie die Sachen zurückbekommen, können sie frei entscheiden. Vielleicht erkennen Sie, dass sie nicht unbedingt notwendig sind, vielleicht nicht.“
„Eine eigenartige Logik, Reverend. Das würde bedeuten, dass man viel Geld braucht, um frei zu sein.“
„Nicht unbedingt. Man braucht sehr wenig, um frei zu sein. Wenn man aber in einer so komfortablen Situation ist, wie ich es bin, ist man sich sicher, dass der Verzicht aus Überzeugung geschieht, nicht aus Mangel an Alternativen. Was Sie im Kern ärgert, ist meines Erachtens nicht so sehr der Verlust Ihrer Wohnung oder Ihrer Sachen, sondern dass dieser Verlust gegen Ihren Willen stattgefunden hat. Ihr Mr. Hawthorne hat Macht über Sie ausgeübt und das ärgert Sie. In Wirklichkeit hat er Ihnen allerdings, ohne es darauf abzusehen, ein Leben voller neuer Möglichkeiten und Chancen geboten, einen neuen Anfang. Manchmal ist es von größter Bedeutung für uns, wenn wir aus festen Bahnen gestoßen, von ausgetrampelten Pfaden weggeführt werden. Sie sind frei, Ethan.“
„Wie kann ich frei sein, mit meinen Altlasten.“
„Die Freiheit von alten Lasten gebe ich Ihnen. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass das Schicksal Sie hierher geführt hat. Sie müssen nur etwas daraus machen.“
73. Kapitel
Endlich kam der Tag, an dem Annabell das Krankenhaus verlassen durfte. Die Ärzte hatten sie von Kopf bis Fuß untersucht und konnten keinerlei Beeinträchtigungen innerer Organe oder Körperfunktionen feststellen. Annabell fühlte sich großartig und konnte es schon seit Tagen kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Der Husten, der sie von Kindesbeinen an immer wieder einmal geplagt hatte, war verschwunden.
Die Entlassung war für Samstagvormittag vorgesehen. Am späten Freitagnachmittag fuhr ich zum Plymouth General – angesichts der Wärme eines spätsommerlichen Tages mit offenem Verdeck. McCandles Darlehen hatte mir nicht nur meine Uhr, sondern auch einen Wagen verschafft, der meinen bisherigen bis auf den Umstand glich, dass er brandneu war.
„Ethan, wo bist Du nur so lange gewesen?“ Annabell warf das Buch, in dem sie gelesen hatte, beiseite und sprang von ihrem Bett auf, als ich das Zimmer betrat. „Ich habe schon den ganzen Nachmittag auf Dich gewartet. Ans Telefon bist Du auch nicht gegangen. Wolltest Du nicht schon um drei hier sein?“
Ich schlang die Arme um sie und gab ihr einen langen Kuss.
„Meinst Du wirklich, Du kannst es damit wieder gut machen?“, fragte Annabell mit gespielter Entrüstung.
„Im Allgemeinen gelte ich als ein ausgesprochen guter Küsser.“
„Im Allgemeinen?“ Sie befreite sich aus der Umarmung. „Willst Du etwa sagen, Du verteilst weiterhin Küsse in der Allgemeinheit, Du Schuft?“
„Selbstverständlich nicht. Das liegt alles vor unserer Zeit. Es ist einfach so: Diejenigen, die ich geküsst habe, können sich sicherlich noch sehr lebhaft daran erinnern.“
„Angeber.“
„Wenn schon nicht mit einem Kuss, kann ich es vielleicht auf andere Weise wieder gut machen.“
„Und zwar?“
„Ich habe eine Überraschung für Dich.“
Sie sah sich um. „Und wo ist die Überraschung?“
„Nein, nein. Es ist keine Sache.“
Ich ließ sie zappeln.
„Sondern?“
„Die Überraschung ist, dass ich Dich jetzt mit nach Hause nehme.“
„Oh, Ethan.“ Sie fiel mir wieder um den Hals. „Aber es hieß doch, ich sollte erst morgen …“
„Das hat man Dir auf meine Bitte hin gesagt. Es ist alles mit Dr. Mercer abgesprochen. Der Papierkram ist erledigt. Wir brauchen nur noch Deine Sachen zusammenzupacken und dann kannst Du Dich von diesem Zimmer endlich verabschieden.“
Das ließ sich Annabell nicht zwei Mal sagen. Im Nu hatten wir alles in den Taschen verstaut und waren auf dem Heimweg.
Das alte Haus lachte uns entgegen, als wir
Weitere Kostenlose Bücher