Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
von ihm ausgesagt wurde. Wie herrlich ist dennoch das Bild des Vaters, der seinen einzigen Sohn in die Welt sendet und hingibt, weil er die Menschheit liebt?“
„Der ihn schreckliche Matern erdulden lässt? Ein wirklich herrlicher Vater. Aber wenn Gott sich den Menschen früher mitgeteilt hat, warum tut er es heute nicht mehr?“
„Ich meine, er hat es in der Vergangenheit und in aller Welt auf verschiedene Weise immer wieder getan – hier vielleicht mehr, dort vielleicht weniger – und er tut es auch heute noch. Wir wissen nur nicht mit Gewissheit, inwieweit. Darum müssen wir mit offenem Herzen durch unser Leben gehen und versuchen, seine Stimme zu darin zu hören.“
Kommen Menschen, die Stimmen hören, nicht im Allgemeinen in die Gummizelle? Auch geisteskranke Massenmörder behaupten mitunter, im göttlichen Auftrag zu handeln.
„Das klingt doch alles sehr unbestimmt. Was soll Ihrer Meinung nach dieses Rätselraten? Wenn es Gott gibt, könnte er sich doch eindeutig zu erkennen geben.“
„Ich glaube, Gott bleibt in diesem irdischen Leben ein Mysterium, hat sich selbst in der Schöpfung verschleiert, – einer meiner Lehrer hat es epistemic distance , Erkenntnisdistanz, genannt – weil sonst wesentliche Erfahrungen des irdischen Lebens nicht möglich wären, das einen Teil eines Entwicklungs- und Reifeprozesses der einzelnen Person darstellt, der über den Tod hinaus reicht. Dieser Reifeprozess – er wurde einmal als Pilgerreise [13] be-schrieben – scheint die Welt, die wir vorfinden, den in Gottes Vorhersehung eingebetteten Freien-Willen des Menschen, das Erleben von Entscheidungssituationen, die Erfahrung der falschen Wahl und die Erfahrung von Endlichkeit und Gottesferne notwendig zu machen. Wer nämlich Gottes Herrlichkeit sieht, Ethan, kann sich Gott nicht entziehen und mit dem Bewusstsein eines gewissen Freiraums entwickeln, denn sein Intellekt ist ganz von Gott erfüllt. Auf der anderen Seite sieht jede einzelne in dieser Welt geprägte Person, jeder individuelle Intellekt im unsterblichen Reich eine besondere Facette der unendlichen Herrlichkeit. Durch den Kontrast zum diesseitigen Leben und auf seiner Grundlage gewinnt Gottes Nähe für die einzelne Person dort an Kontur.“
Der Mann war glitschig wie ein Aal. Ich bekam ihn nicht recht zu fassen.
„Sie können aber nicht beweisen, dass es Gott gibt?“, fragte ich daher.
„Das kann ich wahrhaftig nicht. Es konnte allerdings auch noch niemand beweisen, dass es ihn nicht gibt. Unsere Welt ist in dieser Hinsicht entgegen mancher Behauptungen uneindeutig.“
„Das Nichtvorliegen einer Tatsache lässt sich auch nicht beweisen.“
„Sie argumentieren wie ein Jurist, der Sie ja nun auch sind. Ich meine eher: Niemand konnte bisher mit hinreichender Überzeugungskraft darlegen, dass es unplausibel ist, einen jenseitigen Schöpfergott anzunehmen, wenn die innere Stimme, ein inneres Gefühl diese Annahme verlangt. Auf der anderen Seite gibt es viele Gedankengänge, die Gottes Existenz als mit der Vernunft vereinbar zu erweisen suchen. Ein solcher Gedankengang beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage des Ursprungs der Dinge. Selbst wenn Sie Atheist sind, müssen Sie sich doch fragen, was die Ursache des Seienden ist oder was die Bewegung oder Veränderung in der Welt hervorruft. Sie werden hier möglicherweise vielfältige Ursachen oder ganze Ursachenketten entdecken, etwa in dem Sinne, dass Wirkung Z von Ursache Y verursacht ist, Y aber wiederum die Wirkung von X ist, und so fort. Sie werden aber zugeben müssen, dass sich zwar die Wirkungen bis ins Unendliche fortdenken lassen, die Ursachen jedoch nicht ins Unendliche zurückdenken lassen. Es muss eine unverursachte Erstursache geben oder ein unbewegtes Bewegendes, das am Anfang der Kette steht – so ähnlich sah es zumindest schon Aristoteles.“
„Sie kramen gern in der Mottenkiste. Von der Urknall- oder Evolutionstheorie halten sie nicht viel, was?“
„Es gibt selbstverständlich Einwände gegen das kosmologische Argument – das physikalische Universum oder eine unzählige Anzahl solcher Universen, das von den Gegnern des Feinabstimmungsarguments ins Feld geführte Multiversum, sei selbst ungeschaffen und bedürfe keines Schöpfers – wohl kein sogenannter Gottesbeweis ist zwingend. Die Evolutionstheorie dagegen widerspricht schon nach Darwin selbst dem Schöpfungsgedanken nicht, der ja lediglich zum Inhalt hat, das etwas ins Sein gerufen, also neu erzeugt, statt aus
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