Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Geschaffene liebt, dass sie alles Geschaffene erhält – wenn es uns auch klein und zerbrechlich erscheint, wie eine Haselnuss in unserer Hand.“
„Also Reverend, ich muss Ihnen zugestehen, dass Sie Ihren Beruf ernst nehmen. Aber vergessen Sie bloß vor lauter Zuhören und Nachdenken nicht, zu leben.“
„Falls Gott existiert, gibt es dann ein wertvolleres Ziel des Zuhörens und Nachdenkens als ihn?“
Ich zuckte mit den Schultern.
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Anhang II
Aus Reverend McCandles Predigt am Sonntag nach dem Überfall auf Annabell und, wie ich sie erlebte:
„… und wir reden von Mord, von Überfällen, von Gewalttaten. Diesen Verbrechen ist gemeinsam, dass die Täter ihre Macht über die Opfer rücksichtslos zu einem vermeintlichen eigenen Vorteil missbrauchen. Es geht letztendlich um eine Durchsetzung des ‚Ich‘ unter Missachtung des Gegenübers. Dieses Muster finden wir in vielfältiger Weise im menschlichen Zusammenleben. Bei den Gewaltverbrechen finden wir es in einer extremen Form, die beim Mord gar in einer vollständigen Vernichtung der irdischen Existenz des anderen gipfelt.
Dieses Verhalten, diese innere Haltung, ist ganz anders, ist grundverschieden von der Weise unseres Herrn. Er erhält seine Schöpfung aus überfließender Güte im Dasein und offenbart sich uns als der zugewandte und barmherzige Gott. Und wenn es heißt, dass der Herr den Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat, so wird in der Christusüberlieferung deutlich, was diese Gottesebenbildlichkeit, diese Annäherung trotz gewaltigen Abstands ausmacht: Es ist Liebe. Die Liebe, die das Gute für den anderen will. Das Verlassen der Verschlossenheit des Ich und das Eingehen einer Beziehung, die Zuwendung zum Du.
Wir hören ‚Liebe den Herrn Deinen Gott und Deinen Nächsten wie Dich selbst‘. Andere sagen ‚Der Mensch darf nicht bloßes Mittel unseres Handelns sein, er muss immer auch Zweck sein‘. Wieder andere meditieren ‚Om mani padme hum‘ und meinen ‚Karuna‘ und ‚Metta‘, das Mitgefühl und liebende Güte zu allen Lebewesen. Die Glaubens- oder Gedankensysteme sind nicht dieselben, keineswegs. Aber sehen wir nicht das Gemeinsame, das viele verschiedene Religionen und Philosophien uns zurufen?
Was heißt nun unser Wort?
Liebe Dich selbst, steckt darin! Erfahre Selbstwertschätzung! Du bist Gottes geliebtes Kind! Dir kommt dadurch ein unermesslicher Wert zu – unabhängig von Deiner Stellung in der Gesellschaft, von der Farbe Deiner Haut, von Deiner körperlichen Beschaffenheit. Du wirst geschaffen als Individuum, als eigenständige Person, messerscharf geschieden von Deinem Nachbarn. Es geht im Leben nicht um Uniformität und Selbstaufgabe, sondern um die Ausbildung und bestmögliche Entfaltung der Person auf der Grundlage ihrer gottgegebenen Anlagen und Talente und ihrer Stellung in der Welt, um die Suche nach der richtigen Entscheidung, nach dem richtigen Weg.
Aber liebe nicht nur Dich selbst! Achte nicht ausschließlich oder überwiegend Dich selbst und auf Dich selbst! Verschließe Dich nicht in Dir selbst und lebe nicht in der Gefangenschaft Deines Ich. Sei auch offen für den anderen! Sorge Dich um den anderen! Auch er ist Gottes Kind. Das ist das eine wesentliche Merkmal, in dem alle Menschen gleich und miteinander verbunden sind. Das ist das Merkmal, das uns in die gesamte Schöpfungsordnung einbindet, uns mit allen lebendigen, auch den weniger vernunftbegabten Mitgeschöpfen verbindet – freilich ohne uns, wie es manch einer versucht, dadurch zu dem bloßen Affen zu machen, der der Mensch als Gattung schon Jahrtausende nicht mehr ist und die der einzelne heute lebende Mensch niemals war. Lass Dich anstecken von der Liebe des himmlischen Vaters für alle seine Kinder! Versuche, sie mit seinen liebenden Augen zu betrachten, und Du wirst sie erst richtig erkennen und Deine Wertschätzung für sie wird zunehmen.
Sei offen für den Herrn! Suche ihn! Er ist der Ursprung und das Ziel des unsterblichen Lebens, er ist der Wegweiser auf der Suche nach dem richtigen Weg. Höre hin. Versuche, sein Wort in Deinem Leben zu hören.
So soll der Mensch sein!
Und doch sehen wir, wenn wir die Zeitung aufschlagen, wenn wir die Nachrichten hören oder sehen, dass der Mensch sich so nicht verhält. Ja selbst hier in South Port existiert das Verbrechen. In unserer kleinen Stadt und in der ganzen Welt tut der Mensch Dinge, die ihrer moralischen Qualität nach nicht Gottes Wille sind. Nicht
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