Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
dass ich ihr soeben ein himmlisches Vergnügen bereitet und dass sie dieses Vergnügen bereitwillig genossen hatte. Dass es ein Vergnügen für sie gewesen war, stand außer Zweifel.
Auch diese Art der Reue nach dem Genuss der verbotenen Frucht war mir nicht neu. Manches Mal schon hatte ich sie in den Augen und auf den Gesichtern meiner Eroberungen gesehen. Es waren nicht nur diejenigen gewesen, die in einer festen Partnerschaft gebunden waren, obwohl dort diese Reaktion besonders ausgeprägt schien. Nein, es waren auch einige derjenigen, die ‚frei‘ waren, denen das Vergnügen im Nachhinein oder spätestens dann schmutzig vorkam, wenn sich herausstellte, dass es bei einem einzigen gemeinsamen Ausflug ins Paradies bleiben würde.
Heuchelei, Selbstverleugnung, Verachtung der menschlichen Natur. Erst brannte in ihnen die Leidenschaft, dann, war dieser Durst gelöscht, meldete sich die kleinbürgerliche Moral.
Was hatte Jessica denn verbrochen? Craig betrogen? Konnte er sie denn mit Recht allein beanspruchen, wenn ihre Natur offenbar nach mir verlangte? War unsere Begegnung denn überhaupt mehr gewesen als ein mit besonderen Nervenreizen verbundenes Händeschütteln? Ein liebevolles Gespräch war größerer Betrug an einer romantischen Beziehung.
Wer hatte nur die Freude an der bloßen Körperlichkeit verteufelt? Während Mannschaftssportarten, besonders solche, die mit Bällen zu tun haben, gefeiert, auch Tennis, Golf oder Jogging, ja sogar Kartenspiele und das Ausleben aller möglichen Sammelleidenschaften akzeptiert wurden, wurde eine harmlose Freizeitbeschäftigung für zwei - oder mehr - Personen, das beste Gesellschaftsspiel überhaupt, wieder und wieder in den Schmutz gezogen. Eine Schande. Einfach traurig.
„Bitte, Ethan. Sag Craig nichts“, unterbrach Jessica unerfreulicherweise meinen wertvollen inneren Monolog. „Craig…wir sind glücklich. Er liebt mich.“
„Glücklich? Seid ihr das? Hab keine Sorge, mein Schatz, er liebt Dich nicht. Er findet im Moment Gefallen an Dir, so wie ich vorhin Gefallen an Dir gefunden habe. Das ist vermutlich etwas anderes als Liebe. Und es vergeht, sei versichert.“
Als ob es ihr um Craigs Gefühle gegangen wäre. Sie wollte nur ihren Platz an seiner Seite und die Möglichkeiten, die er mit sich brachte, nicht gefährdet sehen. Das war leicht zu durchschauen.
Jessica vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann, leise zu weinen.
Auch so etwas war mir nicht neu.
Ein unerklärlicher und durch nichts gerechtfertigter Hauch von Mitleid mit der dummen Gans überkam mich und so setzte ich hinzu:
„Ich werde kein Wort zu Craig sagen, sei beruhigt. Wenn nicht deinetwegen, so doch zumindest, weil er sich unnötig aufregen und es mir übel nehmen würde, dass ich in seinem Revier gewildert habe.“
In Wahrheit hatte ich keine Angst vor Craig und seine Verärgerung wäre mir herzlich egal gewesen. Sie war unangenehm, würde aber schnell wieder vergehen. Ich bezweifelte, dass ihm noch allzu viel an Jessica liegen würde, wenn er erfuhr, dass sie durch fremde Hände gegangen war. Vielleicht waren meine nicht einmal die Einzigen. Craig konnte mir dankbar sein. Aber selbst wenn ich mich irrte. Wen kümmerte Craig? Der Grund, warum ich kein Wort über dieses kleine Treffen verlieren würde, war der, dass es nicht gerade sehr galant war, eine Geliebte an ihren Mann oder Freund zu verraten.
„Wir hatten einen schönen Abend. Belassen wir es dabei.“
Zugegebenermaßen war es auch nicht sehr galant, sie in ihrem Elend sitzen zu lassen, aber tröstende Worte wollten mir nicht über die Lippen kommen. Letztendlich war nur ihre Einstellung zu unserem Rendezvous schuld an ihrer Misere. Wir hatten einen herrlichen Abend miteinander verbracht.
Ich zog ohne ein weiteres Wort meine Sachen an und ging zur Tür.
„Leb wohl, Jessica.“
Sie antwortete nicht.
Ich verließ das Hotel, nahm mir ein Taxi und fiel um 3.30 Uhr allein und erschöpft in mein kaltes Meer aus Satin.
11. Kapitel
Am nächsten Tag stand ich zur üblichen Zeit auf, erledigte meine Morgenroutine, nahm etwas gegen die Erschöpfung ein und fuhr in die Clarendon Street. An Jessica dachte ich längst nicht mehr.
Im Büro wurde ich von allen Partnern, denen ich begegnete, überaus freundlich begrüßt. Die Ereignisse des vergangenen Tages und das Honorar, das ich ihnen gesichert hatte, hatten sich allem Anschein nach schon herumgesprochen. Bei den Kollegen vermeinte ich dagegen, eine gewisse
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