Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Frage also bald selbst stellen können.
Aber wie würde ich sie begrüßen? Hallo, ich bin Dein geliebter, bisher unbekannter Bruder, den Dein geistig derangierter Groß-groß-Cousin zu zwingen versucht, hier zu leben und die Vormundschaft über Dich auszuüben, und der sich Zugang zu diesem Haus verschafft hat, das er bei sich bietender Gelegenheit schon allein deswegen zugunsten seines Not leidenden Bankkontos verscherbeln wird, um der Notwendigkeit zu entgehen, sich mit dem Nachbarschaftspack abzugeben?
Ja, das dürfte eine gute Basis für unsere weitere Zusammenarbeit bilden.
Ich ging festen Schrittes auf die Eingangstür zu, die sich öffnete, und sah …
… und sah auf der Auffahrt einen klapperigen Mittelklassewagen stehen und vor mir einen Männerkopf mit hoher Stirn und weißem Haar hereinkommen, dem kurz darauf der restliche Körper folgte. Eine Wolke eines intensiven Altherrendufts wehte mir entgegen.
Der Mann, der mir gegenüberstand, trug ein dunkelgraues Priesterhemd mit weißem Kollar und einen hellgrauen, leicht verschlissenen Anzug, dessen einreihige Jacke über einem kleinen Bauch nur mit Mühe schloss.
Na, großartig. Der Pfaffe. Was in Dreiteufelsnamen wollte der hier und warum hatte er einen eigenen Hausschlüssel?
17. Kapitel
„Oh, guten Tag, mein Sohn.“ Der Pfaffe war verblüfft, hier einen unbekannten jungen Mann anzutreffen. „Ist Miss Annabell zu Hause?“
„Guten Tag Mr. ...?“
„Oh, verzeihen Sie. Offiziell bin ich der Reverend Father Thomas John McCandle”, antwortete er mit einem Schmunzeln. „Mit wem habe ich das Vergnügen, wenn ich fragen darf?“
Er musterte mich aus neugierigen grauen Augen, die von Lachfältchen umgeben waren, und hielt mir die Hand hin.
„Meyers. Ethan Meyers.“
Ich schüttelte seine Hand und gab mir Mühe, einen besonders starken Druck auszuüben, woraufhin er leicht das Gesicht verzog.
„Und meine Schwester“ – ich betonte das Wort ‚Schwester’, gleichsam um mein Recht, hier zu sein, zu unterstreichen – „ist nicht im Haus. Darf ich fragen, was Sie herführt?“
„Selbstverständlich.“
Sein indignierter Blick strafte ihn Lügen.
„Ich bin ein guter Freund der Familie und seit Eugenys Tod, dem Tod der Großmutter Ihrer Schwester, sehe ich regelmäßig nach Annabell.“
Kümmerten sich hier alle alten Säcke der Gegend um meine Schwester? Ach ja: Sie war ja so ein nettes Mädchen.
„Dann sind Sie es also, den Richter Rutherford zum Vormund bestimmt hat“, fuhr er fort. „Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Sie wissen vermutlich nicht, dass ich es war, der Sie vorgeschlagen hat? Charlton hatte zunächst an mich gedacht, aber ich bin doch nun wahrlich zu alt für so etwas. Und was die Leute unnötigerweise geredet hätten. Ein unverheirateter Pfarrer, der mit einem jungen Mädchen zusammenwohnt. In der heutigen Zeit. Das war wirklich keiner seiner besseren Einfälle – Sie sind da wesentlich besser geeignet. Aber der Mann ist ein begnadeter Angler, mein Sohn. Davon versteht er wirklich etwas. Sie sollten mal mit ihm raus fahren. Kommen Sie, wir gehen auf die Terrasse und plaudern ein wenig, bis Ihre Schwester nach Hause kommt.“
Der Pfaffe schob mich in Richtung Wohnzimmer.
Bastard. Ihm hatte ich also diese ganze Misere zu verdanken. Das machte ihn mir nicht gerade sympathischer.
McCandle setzte sich in einen der bequemen Sessel im Schatten des Balkons. Ich nahm widerstrebend neben ihm platz. Mrs. Fullton hatte ich entgehen wollen, und nun saß ich mit diesem Prediger da, der auch sogleich anfing, ein Gespräch mit mir vom Zaun zu brechen: Er wisse, dass ich ein unverheirateter Anwalt sei. In was für einer Kanzlei ich denn arbeite. Ob es mir dort gefalle. Wie meine Zukunftspläne denn aussähen. Ob ich eine Frau kenne und vorhabe, zu heiraten. Ich sei doch im besten Alter. Wie das Leben in Boston sei. Wie mir South Port gefalle. Dass es doch wirklich ein ganz besonderes Städtchen sei, in dem er sich auf Anhieb zu Hause gefühlt habe und dass er nun schon seit über zwanzig Jahren hier lebe und nicht bereue, New Jersey verlassen zu haben. Ob ich mich nicht freue, meine Schwester zu sehen. Ob das nicht ein wundervolles altes Haus sei, das Geschichte atme.
Ich beantwortete alle Fragen so knapp, wie ein Mindestmaß an Höflichkeit es erforderte und hoffte jede Minute auf das Auftauchen meiner Schwester, damit ich diesen Pfaffen endlich wieder loswürde, der sich in den Kopf gesetzt hatte,
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