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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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Gesichtsausdruck hatte verraten, dass ein Wiedersehen mit Sandy nicht nach ihrem Sinn war.
    „Das möchte ich noch nicht verraten. Wohin wir gehen, ist eine Überraschung“, hatte ich geheimnisvoll gesagt.
    „Aber ich muss doch wissen, wie ich mich anziehen soll.“
    Sie hatte mich mit ihren großen strahlenden Augen angesehen und versucht, mir einen Hinweis zu entlocken.
    „Du kannst anziehen, was Du magst. Aber es darf durchaus etwas eleganter sein, denke ich.“
    Schon war sie nach oben gelaufen, um ihren Kleiderschrank zu durchsuchen, und ich hatte schmunzeln müssen, über diese offensichtliche Vorfreude.
    Um sechs Uhr wartete ich frisch geduscht und hergerichtet im Wohnzimmer. Ich trug trotz der schwülen Luft, die sich den Tag über auf die Stadt niedergesenkt hatte wie ein feuchtes Tuch, mein dunkelblaues Jackett mit Einstecktuch, ein weißes Hemd mit kräftigem pinken Streifen und eine beige Hose.
    Unruhig schritt ich im Wohnzimmer auf und ab und fragte mich, wie Annabell wohl auf meine Abreise reagieren würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es ihr gleichgültig war, dass ich zurück nach Boston ging. Aber falls doch, würde es mich hart treffen. Falls es sie auf der anderen Seite traurig machte, mich gehen zu lassen, würde es meine eigene Traurigkeit nur um ein Vielfaches verstärken. So oder so, der Abend konnte nur schief gehen. Andererseits war der Abschied unausweichlich. Gehetzt kreisten meine Gedanken um diese Fragen, als Annabell die Treppe herunter kam.
    Schlagartig wurde es still in mir. Eine innere Ruhe breitete sich aus und ich konnte meine Schwester nur andächtig betrachten. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ihre übliche Erscheinung oder ihr Anblick im Bikini noch übertroffen werden könnte.
    Annabell trug mehr Make-up als sonst, aber es war nicht so, als wäre sie in einen Farbtopf gefallen oder einer Clownsschule entlaufen. Alles war sehr geschmackvoll aufgetragen. Die Lippen waren leicht gerötet, die Augen betont. Ihr Haar war hochgesteckt. In ihren Ohren glänzten Perlenohrringe und um ihren Hals lag eine dazu passende Perlenkette. Sie trug ein sommerliches Kleid aus einem leichten hellblauen Baumwollstoff, das einen runden Ausschnitt hatte und relativ hochgeschlossen war, dazu eine dunkelblaue Strickjacke und dunkelblaue Ballerinas.
    „Du siehst bezaubernd aus, Annabell“, flüsterte ich hingerissen.
    Ich hatte mich aus dem Sessel erhoben und trat zu ihr.
    „Danke schön.“ Sie strahlte. „Du siehst auch sehr schick aus.“
    Wir standen nah beieinander, sahen uns an und waren still.
    Der Augenblick schien unendlich.
    Nach einer Weile löste ich uns widerstrebend aus dieser Versenkung.
    „Wollen wir?“
    Ich ging voraus. Annabell schloss die Haustür hinter uns ab. Ich hielt ihr mit einer kleinen Verbeugung die Wagentür auf und ließ sie einsteigen.
    „Verrätst Du mir jetzt, wohin wir fahren?“
    Annabell konnte es anscheinend kaum abwarten.
    „Gedulde Dich noch eine kleine Weile. Die Fahrt dauert nicht lange.“
    Ich hatte das Navigationssystem schon am Nachmittag programmiert und mir die Route angesehen. Wir fuhren zunächst in Richtung Innenstadt, ließen diese dann aber rechts liegen und bewegten uns auf der Küstenstraße in Richtung Plymouth.
    „Ist es noch in South Port?“
    Annabell war regelrecht aufgeregt.
    „Noch ein paar kurze Augenblicke, dann müsstest Du es sehen.“
    Auf dieser Seite von South Port lagen nur hier und dort ein paar Häuser und deren Anzahl verminderte sich, je weiter wir aus der Stadt fuhren. Die linke Straßenseite war dicht bewaldet, rechts lag die See, die heute ungewöhnlich still war. Die Luft dagegen schien wie aufgeladen. Selbst der Fahrtwind brachte keine richtige Abkühlung.
    Wir bogen um eine Kurve und nun konnte ich es sehen: Nick’s Bayview Restaurant lag auf einer baumlosen, felsigen Klippe, die wie ein Dorn etwas mehr als eine viertel Meile in die Bucht hinein ragte. Noch bevor ich nach rechts auf die Zufahrt bog, konnte Annabell das Schild erkennen.
    „Nick’s?“, fragte sie ungläubig.
    „Ja, warum nicht?“
    „Ich war noch nie dort, aber soll sehr teuer sein. Die Leute kommen von weit her, um dort zu essen. Man bekommt auf Wochen keinen Tisch. Zumindest hat Onkel Charlton keinen bekommen, als er einmal dort essen wollte. Danach war er so verärgert über diese Unverschämtheit, wie er sich ausdrückte, dass er es nicht noch einmal versucht hat.“
    „Nun, wir beide haben einen Tisch bekommen. Ich

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