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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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verbot ich sanft die Worte, die uns unauslöschlich ins Chaos stürzen würden.
    Und doch konnte ich mich nicht widersetzen. Ein Schauer lief durch meinen Körper. Mein Gesicht wurde Millimeter für Millimeter von einer unwiderstehlichen Kraft zu dem Ihren hinuntergezogen. Unsere Lippen waren kaum mehr voneinander entfernt. Noch einen Wimpernschlag würde es dauern und …
    Ein gleißender Blitz zuckte über den Nachthimmel und erhellte jäh Annabells schreckgeweitete Augen. Ohrenbetäubender Donner erklang. Kurz darauf prasselte Sturzregen in zahlreichen dicken Tropfen hernieder. Wind kam auf und peitschte den Regen auch seitwärts gegen alles, was sich im Freien befand. Die Kerzen auf den Tischen erloschen. Gläser fielen zu Boden und zerschellten.
    Während die Nacht wieder und wieder von Blitzen zerrissen wurde, erhob sich das Meer und schlug seine Wogen gegen die Felsen rings umher, so als wolle es uns kundtun, dass der Leviathan längst aus seiner Ruhe erweckt worden war und sich gähnend räkelte. Ich sollte ihm nicht zum letzten Male begegnen.
    Fluchtartig verließen Orchester, Kellner und Gäste die Terrasse und stürmten in das Innere des Restaurants, wo man dicht gedrängt ausharrte und das Wasser von Gesicht und Augen wischte.
    „Das sind vielleicht schon die ersten Ausläufer“, hörte ich einen älteren Herrn zu seinem Nebenmann sagen. „Im Süden soll sich ganz schön was zusammenbrauen. Auf den Bermudas gab es gewaltige Überschwemmungen. Ein Freund von mir wollte nächste Woche nach Palm Beach, aber er hat sicherheitshalber seinen Flug storniert. Und man weiß noch nicht, wohin das Ding zieht. Soll ein echtes Monstrum werden. Kann sein, dass es hier heraufkommt. Wer weiß.“
    Die Kellner beeilten sich, Handtücher herbeizuschaffen, aber auf einen solchen Bedarf war Nick’s nicht vorbereitet. So blieb den Gästen nichts anderes übrig, als den Abend gezwungenermaßen abzubrechen, ihre Rechnungen zu begleichen und sich durchnässt auf den Heimweg zu machen. Auch ich ließ mir die Rechnung geben, addierte ein großzügiges Trinkgeld für das Personal, von dem der Maître sicherlich auch noch einen Teil abzweigen würde, und ließ meinen Wagen kommen. Mit Schirmen, deren Schutz vergeblich bleiben musste, geleiteten uns die triefend nassen Parkhilfen nach draußen und wir verbargen uns im Trockenen.
    Während der Rückfahrt blieben wir still. Angesichts des Gewitters hatten wir den Moment verstreichen lassen, der unausweichlich in einem Kuss gemündet hätte. Das war uns beiden klar und schien unsere Münder, die um ihre Vereinigung betrogen waren, zuzuschweißen.
    Die Elementarkräfte dagegen zeigten sich keiner Schuld bewusst. So als hätten sie uns lediglich die Ehre erweisen und die Einzigartigkeit unseres Augenblicks für alle Welt hervorheben wollen, ließen sie unablässig den reinigenden Regen auf das Verdeck herniederprasseln, während wir unseren Heimweg fortsetzten.
    Wir konnten keine Freundlichkeit darin erkennen, nahmen den Dammbruch der aufgestauten Hitze nicht wahr. Was wir en passant sahen, war der Leichnam einer vom Blitz gespaltenen Strandkiefer, und dieser Anblick machte uns traurig.

Dritter Teil

36.      Kapitel

 
 
    Das Gewitter hing weiterhin fest über der Cape Cod Bay und Donnerwogen durchpflügten den Himmel über uns, als ich den Wagen auf der Auffahrt in der Bonham Lane zum Stehen brachte.
    Wir rannten zur Tür, die Köpfe in dem Versuch gesenkt, den Regen von unseren Gesichtern abzuhalten. Erst als wir unter dem Vordach angekommen waren, bemerkten wir, dass etwas nicht stimmte: Die Eingangstür stand einen Spalt weit offen. Ich war sicher, dass wir sie verschlossen zurückgelassen hatten, und Annabell ging es offenbar ebenso: „Ethan, sieh nur!“ Sie klammerte sich an meinen Arm.
    Einbruch! Meine Muskeln waren schlagartig gespannt wie die Bogensehne vor dem tödlichen Schuss. Adrenalin wurde ausgeschüttet. Schweiß bahnte sich seinen Weg auf die Oberfläche.
    „Bleib hinter mir!“
    Der Einbruch mochte Zufall sein, aber ich hatte kein gutes Gefühl. Die flammende Cobra, die der Glatzkopf auf seiner Brust trug, fauchte mich in Gedanken an. Waren er und sein Komplize es gewesen? Warteten sie auf uns?
    „Schnell, Annabell! Ruf die Polizei! Es kann sein, dass noch jemand im Haus ist.“
    Was sollten wir tun? Meine Gedanken liefen Amok, während Annabell wählte und erstaunlich gefasst in ihr Mobiltelefon sprach. Wir konnten wieder in den Wagen steigen und

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