Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
leibhaftiges Fragezeichen.
Anne konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. Der Name des reichen Reeders bedeutete in dieser Stadt ebensoviel wie Errol Flynns in Hollywood.
„Er will Anne sprechen, hat er gesagt.“
„An. aha, dann gehen Sie jetzt dort in Stellung?“ Frau Langelie drehte sich zu Anne um.
„Nein“, sagte Anne. „Die Tochter von Herrn Sander ist meine Freundin.“
Sie ging in den Korridor hinaus, wo Herr Sander wartete. Sie wußte ganz genau, daß die Tür hinter ihr einen Spalt weit offen stand, und sie senkte keineswegs die Stimme, als sie Herrn Sander begrüßte.
„Ja, ich mußte doch heraufkommen und sehen, ob ich Sie erwischte“, sagte Herr Sander. „Ich habe Britt auf Ehre und Gewissen versprechen müssen, Sie heute zu entführen.
Sie liegt nämlich krank, das arme Ding, und wollte so gern, daß Sie zu ihr kämen.“
„Ach die arme Britt - was hat sie denn?“
„Eine Grippe. Aber die ist schon wieder im Abklingen. Das Schlimmste hat sie überstanden. Sie ist nur so schrecklich schlapp und soll noch ein paar Tage im Bett bleiben.“
„Ja, ich komme natürlich. Aber - warum haben Sie sich nur die Mühe gemacht und sind persönlich hergekommen?“
„Ach, es lag mir auf dem Weg - und übrigens hatte ich versucht, Sie im Telefon zu erreichen. Aber da muß ich an einen ganz gefährlichen Drachen geraten sein; der erklärte mehr deutlich als liebenswürdig, Sie seien nicht anzutreffen.“
Anne verbiß sich das Lachen. Es war zu schön, zu wissen, daß Frau Langelie hinter der Tür stand und nun den Drachen schlucken mußte.
„Also Anne, kommen Sie mit? Jetzt gleich?“ Die Gewißheit, daß Frau Langelie horchte, gab Anne Mut: „Furchtbar gern, Herr Sander, falls ich bei Ihnen ein wenig essen kann. Ich bin heute nämlich so spät dran, daß ich noch nicht zu Mittag gegessen habe.“
„Aber Kind, Sie können bei mir so viel essen, wie Sie wollen. Ich gehe hinunter und warte im Wagen, während Sie Ihr unvermeidliches Strickzeug einpacken.“
Frau Langelie konnte keine Silbe hervorbringen, als Anne durch die Küche in ihr Zimmer hinüberging.
Anne war immerhin Frau, und trotz aller ihrer Vorzüglichkeit fühlte sie ein winziges bißchen Schadenfreude, die im Seelenleben einer Frau immer die Würze darstellt.
Sie wußte nur zu gut, daß die Familie Langelie hinter der Gardine stand und ihr nachsah, wie sie - mit wesentlich langsameren Bewegungen, als es sonst ihre Art war - in Herrn Sanders prachtvollen „Jaguar“ stieg. Er hielt ihr den Schlag höflich auf, und Anne ließ sich mit ganz selbstverständlicher Miene auf den rotledernen Sitz fallen.
Dann rollte der Wagen davon.
Der junge Thomas drückte seine Nase an der Fensterscheibe platt und folgte dem Autowunder mit den Augen. „Schockschwerebrett!“ murmelte er überwältigt.
Bei Großmama
Anne fühlte sich wohl wie ein Fisch im Wasser.
Ihr ganzes Dasein war mit einem Schlag verwandelt.
Sie erwachte mit einem Lächeln, sie freute sich jeden Morgen auf den kommenden Tag. Punkt sechs Uhr stand sie unter der Brause -schon das allein war eine Wohltat. Bei Langelies hatte sie das Bad nicht benutzen dürfen. Um halb sieben Uhr brachte sie Frau Unndal den Kaffee ans Bett und aß selbst bei ihr drinnen ihr erstes Frühstück. Stets hatte Frau Unndal irgend etwas Nettes zu erzählen, sich über etwas Lustiges zu unterhalten. Es war immer recht schwer, diese trauliche Kaffeestunde abzubrechen. Aber da machte sich Annes Tüchtigkeit geltend. Sobald der Kaffee getrunken und Frau Unndal ins Bad gegangen war, kam Anne in Schwung; sie räumte das Zimmer auf, richtete die Couch für den Tagesgebrauch her und strich Butterbrote für Frau Unndal zum zweiten Frühstück und das Schul-brot für sich selbst. Wenn sie fortging, war Frau Unndal angezogen und in ihrer Ecke für den Tag zurechtgelegt. Auf dem großen Tisch neben der Couch standen Radio und Telefon, die Thermosflasche mit dem Vormittagstee und die Butterbrote, die Anne gestrichen hatte. Anne konnte mit gutem Gewissen in die Schule gehen.
Bei Frau Unndal fiel ihr das Lernen viel leichter. Sie wußte selbst nicht, woher es kam, und doch war der Grund einfach zu erraten: Sie hatte Ruhe, ihre Nerven waren nicht mehr in Hochspannung.
Dann hieß es nach Hause gehen und irgend etwas Genießbares zum Mittag zusammenschmurgeln. Frau Unndal war nicht heikel. Die Hauptsache war, daß es schnell und leicht getan war, damit Anne so bald wie möglich an ihre Aufgaben gehen konnte. Das
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