Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
bißchen Geschirr war im Nu aufgewaschen. Dann hielt Frau Unndal einen Mittagsschlaf und gab nicht einen Mucks von sich bis gegen acht Uhr abends. Anne hatte dadurch einen langen und schönen Nachmittag für ihre Schularbeiten.
Gegen acht Uhr ertönte aus dem Nebenzimmer das fröhliche, singende „Anne!“ Das bedeutete, daß Frau Unndal ins Bett gebracht werden wollte. Anne richtete im Handumdrehen das Bett her. Dann folgte die allergemütlichste Stunde des Tages: die kleine Abendmahlzeit, Tee und Butterbrote, mit Frau Unndal zusammen. Jetzt hatte Anne ein gutes Gewissen, in der Regel waren die Aufgaben gemacht. Diese Stunde pflegten sie beide lang auszudehnen. Anne strickte; Frau Unndal plauderte und erzählte. Sie war viel im Ausland gereist und konnte lebendig und amüsant erzählen. Anne lauschte mit Augen und Ohren.
„Annekind, Sie müssen aber auch ein bißchen an die frische Luft“, sagte Frau Unndal. „Heute abend kommt Lore, sie kann das Abendbrot machen, gehen Sie jetzt raus und lassen Sie sich nicht so bald wieder blicken!“
Lore war Frau Unndals Enkelin, ein fünfzehnjähriges Mädel mit dunklem Haar und braunen Augen. Sie und Anne waren dick befreundet, wenn es Anne auch schwer fiel, dem glühenden Interesse der jungen Dame für Filmsterne und Jitterbug zu folgen.
Anne machte dann einen Spaziergang, oder sie schaute schnell zu Britt hinein.
„Wollen Sie Britt nicht mal mit herbringen?“ fragte Frau Unndal eines Tages. „Decken Sie gemütlich den Teetisch drinnen bei sich. Warum sollten Sie nicht auch Besuch haben?“
Die alte Frau Unndal war zu gut, um wahr zu sein. Anne hatte gedacht, sie müsse wohl jetzt den Freitagsjob im Schuhgeschäft aufgeben. Aber davon wollte Frau Unndal nichts wissen.
„Was ist das für ein Schnickschnack? Freitags kommt die Aufwartung und ist den ganzen Nachmittag hier; sie macht dann alles Nötige. Gehen Sie nur ruhig zu Ihren Schuhen und den dreckigen Füßen, meine Gute!“
Frau Unndal konnte es nämlich nicht vergessen, daß Anne einmal eine Kundin gehabt hatte mit Löchern in den Strümpfen und unverkennbar schmutzigen Füßen. Und wie oft auch Anne seither sagte, das sei eine Ausnahme gewesen, und die Reinlichkeit der Kunden lasse sonst wirklich nichts zu wünschen übrig - Frau Unndal konnte dies eine Mal durchaus nicht vergessen.
Am gemütlichsten war die abendliche Plauderstunde
Anne verdiente jetzt viel weniger Geld, kam aber trotzdem gut zurecht. Sie hatte die zwölf Kronen jeden Freitag, und jeden Monat kamen fünfundzwanzig von Magnus. Auch das Stricken warf noch ein bißchen ab. Außerdem hatte sie von den dreihundert von Weihnachten noch einen ganzen Batzen übrig. Es sah gar nicht so trübe aus. Denn sie hatte ja jetzt die ganze Verpflegung umsonst!
Als eines Tages wieder ein Paket aus Möwenfjord kam, war Anne glücklich, daß sie Frau Unndal von den Fladenbroten und von der hausgemachten Schafrollwurst anbieten konnte. Dann kam ein Paket aus Dänemark, und sie schwelgten in dänischen Delikatessen.
Endlich eines Tages machte Anne ernst und lud Britt ein.
Britt sagte zuerst Frau Unndal guten Tag, und es erging ihr genau wie allen andern. Sie war dieser merkwürdigen Dame mit dem unerschütterlichen Humor und den klugen, lebendigen Augen unter dem brausenden weißen Haar gleich zugetan, dieser alten Dame, deren siecher Körper ihren jungen, sprudelnden Geist nie niederzwingen konnte.
Eigentlich sollte sie drinnen bei Anne Tee trinken. Aber da kam Lore hereingeschneit. So setzten sich die drei jungen Mädchen zu einer traulichen Teestunde zu Großmama ins Zimmer.
Ja - zu Großmama.
Frau Unndal hieß in der ganzen Familie nur Großmama. Und als Anne einen Monat bei ihr gewesen war, da war die Großmama dermaßen in ihr Bewußtsein eingegangen, daß sie sich einmal unversehens versprach und sie selbst so nannte.
Und Großmama lachte. „Sieh da, das hab ich gern“, sagte sie. „Aber dann möchte ich auch Du zu dir sagen, Anne!“
„Das wäre herrlich!“ sagte Anne.
Die kleine Lore schien einen sechsten Sinn zu haben, der ihr immer anzeigte, wenn Britt bei Anne und Großmama war. Dann erschien sie regelmäßig auf der Bildfläche und hatte immer irgendeinen Vorwand, um lange bleiben zu können. So lange, daß Britt sie dann im Wagen nach Hause fuhr.
Daß ein zwanzigjähriges Mädchen einen eigenen Wagen besaß, machte einen gewaltigen Eindruck auf Lore. Der Mund stand ihr nicht still. Sie unterhielt Britt auf das Eifrigste über
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