Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
kennengelernt, in der Anne groß geworden ist. Und wenn ich dem Bübchen einen Wunsch mit auf den Weg geben soll, dann ist es dieser: Möge er Anne ähnlich werden, möge er euch allen ähnlich werden, möge er die Tradition von Möwenfjord weiter führen!
Morgen fahren wir wieder weg, Anne und ich. Wir müssen zu unserer Arbeit zurück, das wißt ihr. Und da ich nun sowieso eine so lange Rede gehalten habe, möchte ich euch allen gleich meinen Dank aussprechen für diese Tage. Ihr alle habt mich so viel gelehrt und mir so viel gegeben. Und ihr versteht mich sicher, wenn ich vor allen Dingen Mutter Kristina meinen Dank sage. Liebe Mutter Kristina, ich bin ein reicherer Mensch geworden, weil ich dich jetzt kenne. Ich danke dir, daß du mich so in deinem Hause aufgenommen hast. Ich danke dir, daß du mir Anne anvertrauen willst. Ich weiß nicht, was ich für die Zukunft versprechen kann. Du weißt, wir Künstler, wenn ich mich so nennen soll, sind ein fahrendes Volk und wissen nie, was aus uns wird. Ich kann dir nur eins versprechen: Ich will immer gut zu Anne sein.
Alle guten Wünsche dem Täufling - alles Gute für Möwenfjord -und - “ Jess stotterte ein wenig, errötete - und dann entfuhr es ihm, und seine Stimme war ein ganz klein bißchen belegt: „ - und Gott segne dich, Mutter Kristina!“
Heimliche Fürbitte für Jess
Das neue Kurhotel Westenbergen lag im Innern eines engen Fjordarmes. Ein kleiner Park erstreckte sich vor dem Hotel bis zur Anlegebrücke hinunter. Dahinter ragten die Berge auf, hoch und schwarzblau, mit kleinen Gehölzen am Fuße und an den Hängen hinauf und mit Schnee auf den kahlen Scheiteln.
Anne hatte viel Nutzen von den Hotelerfahrungen aus den zwei Sommermonaten im vorigen Jahr, als sie auf Aurestua zur Aushilfe gearbeitet hatte. Es war schön für sie, wieder mit Frau Legard zu tun zu haben, der Hausdame von Aurestua, die dies Jahr nach Westenbergen gekommen war und Anne diese Stellung verschafft hatte.
Keine zwei Tage waren vergangen, da war Anne wieder ganz im gewohnten Trott. Sie räumte die Zimmer auf und machte die Betten. Sie half beim Lunch und Mittagessen servieren. Sie lief wie ein Wiesel hin und her, mit eisgekühlten Getränken für die Amerikaner, Aperitifs für die Franzosen und Kübeln von Tee für die Engländer.
Und die Trinkgelder begannen sich in ihrem Kasten zu sammeln.
Sie sparte jeden Öre, jeden Cent, jeden Pfennig, jeden Penny. Denn sie wußte: das Jahr, das sie vor sich hatte, würde ebenso kostspielig wie anstrengend werden. Die Studentenklasse der Höheren Handelsschule stellte weit höhere Anforderungen als das Gymnasium. Das behaupteten jedenfalls alle, die es versucht hatten.
Auf Westenbergen war alles voll belegt. Anne war froh darüber. Die Gäste wechselten oft, und darüber war sie noch froher. Sie nahm mehr Trinkgelder ein, wenn drei Gäste je zwei Tage auf Westenbergen verbrachten, als wenn ein Gast sechs Tage dort war. „Angewandte Mathematik“, lachte Anne, als sie Jess ihre Trinkgeldberechnungen auseinandersetzte.
„Du hast wahrlich Dusel“, sagte Jess. „Wenn ich doch auch Trinkgelder bekäme! Aber ein Musiker ist offenbar zu fein dazu! Denk bloß, wie famos das wäre, wenn die Gäste mal einen Fünfkronenschein mit in die Zettel wickelten, die sie uns ab und zu mit ihren Wünschen raufschicken, ,Caprifischer’ oder ,Brahms Wiegenlied’.“
„Dir müssen doch eigentlich die ,Caprifischer’ ebenso wie ,Brahms Wiegenlied’ bald lang zum Halse raushängen“, sagte Anne.
„Das ist noch nicht das Schlimmste“, lachte Jess. „Habe ich dir nicht erzählt, was vorgestern einer von uns verlangt hat? ,Können Sie nicht Beethovens Neunte spielen?’ Kannst du nicht geradezu hören, wieder Geiger und ich die Neunte so mal eben hinlegen - mit Soli und Chor?“ Anne lachte, daß sie sich beinahe verschluckte. An diesem Abend rief ein Gast sie an seinen Tisch. Ob sie den Musikern freundlichst diesen Zettel hinaufbringen möchte?
Aber ja, natürlich. Anne warf einen heimlichen Blick darauf. Diesmal sollte es der „Tango Jalousie“ sein.
Da kam ihr ein Gedanke. Sie kramte in ihrer Tasche, in die sie immer ihr Trinkgeld stopfte. Doch, ein Fünfkronenschein war dabei. Sie faltete ihn zusammen, wickelte ihn in den Zettel und brachte ihn zu Jess hinauf, der im Smoking auf der kleinen Musikestrade saß und den Flügel bearbeitete.
Er spielte mit der linken Hand weiter, während er die Rechte nach dem Zettel ausstreckte. Anne ging wieder
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