Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
seinem fröhlichen Lächeln und seiner Munterkeit angesteckt. Jess hatte es fertiggebracht, daß die schweigsamen Leute auf Möwenfjord plauderten; er hatte das Lachen aus ihnen herausgelockt. Liv und Marthild aber - nun, deren Begeisterung für den jungen Schwager war größer, als sie zugeben wollten!
Anne spürte ein so bebend warmes Glück in sich, daß sie nicht begriff, wie sie es ertrug. Daß das Glück so aussehen konnte.
Das Motorboot töffte stetig und ohne Aufenthalt seinem Ziel entgegen, der weißen Holzkirche. Glänzend ragte sie in der Junisonne mitten zwischen den vielen Häusern im Innern des Fjords auf. Dort war der Dampferkai, der Krämerladen. Dort lagen der Pfarrhof und die Amtsschreiberstube, das Telefonamt. Dort wohnte auch der Arzt.
Jess holte den Fotoapparat hervor. Er hatte „Kilometer von Filmen“ aufgenommen, wie er selbst sagte - ob es nun die kleinen weißen Lämmchen waren oder die fernen Schneezinnen, Mutter Kristina am Webstuhl und Anne in Tracht.
Allerdings waren die meisten seiner „Kilometer“ mit Anne draufgegangen, Anne in allen möglichen Situationen und vor allen möglichen Hintergründen aufgebaut!
Sie legten am Kai an. Magnus schaltete den Motor ab, Tore sprang auf die Kaimauer hinauf, um das Boot festzumachen.
Still und andächtig schritt Mutter Kristina an der Spitze des kleinen Gefolges dahin. Auf ihren Armen trug sie den kleinen Burschen. Ihre Augen waren verdächtig blank.
Jess beobachtete, wie ehrerbietig die Leute aus dem Ort Mutter Kristina grüßten. Ehrerbietig und herzlich zugleich. Viele kamen heran und gratulierten ihr zum Enkelsohn.
Die kleine Gruppe näherte sich dem Eingang zur Sakristei. Jess blieb stehen und hielt Anne am Arm fest. „Laß uns zusammen in die Kirche hineingehen, Anne!“
„Ja, natürlich. Willst du dir gern den Gottesdienst anhören? Hast du Lust dazu? Ich dachte, daß.“
Jess lächelte. „Nein, kirchlich fromm bin ich wohl nicht gerade. Aber in diese Kirche gehe ich gern.“
Anne nickte und verstand. Allein der Friede an diesem sonnenwarmen Junitag, die feierlich gestimmten Kirchgänger, die winzige Holzkirche, die dalag, als sei sie aus dem steinernen Grund emporgewachsen - dies alles lud zu einer stillen Andacht ein.
Obwohl Anne so viel mit Jess gearbeitet, und obwohl er seinen Aufsatz in Neunorwegisch zum Abitur wirklich gut zustande gebracht hatte, vermochte er dieser Predigt in Neunorwegisch doch nicht zu folgen. Er lauschte auf die Orgel, blieb sitzen und sah sich in dem alten, bescheidenen Kirchenschiff um. Durch die Fenster fiel ein Sonnenstrahl auf das kleine, abgenutzte Altarrund, auf die Altartafel mit den alten Schnitzereien, auf die kleine Kanzel mit dem Lesepult, dessen Sammet verblichen und verschlissen war. Und eins wurde Jess ganz klar: Wenn er und Anne Hochzeit feiern würden, dann sollte es in dieser Kirche sein und nirgendwo sonst in der Welt.
Er suchte Annes Blick und ihre Gedanken trafen sich. Sie verstanden einander ohne Worte, jetzt wie immer.
Das Bübchen war getauft; man trat die Heimfahrt an. Nach Haus zum festlichen Mahl auf weißem Linnen und mit altem Silber und dem besten Geschirr. Anne hatte den Tisch mit Heckenrosen geschmückt, hatte kleine Sträußchen über die ganze Tafel hin verstreut, wie sie es bei Aspedals gelernt hatte.
Es war nicht die Art der Leute auf Möwenfjord, Reden zu halten. Sie beschränkten sich darauf, ein paar Worte an das Bübchen zu richten und ihm ein langes und glückliches Leben zu wünschen.
Aber als man den Lammbraten verzehrt hatte und Marthild gerade aufstehen wollte, um die Erdbeerkrem zu holen - da räusperte sich Jess mit einemmal und erhob sich von seinem Sitz.
„Liebe Mutter Kristina und ihr Lieben alle“, begann er und gab sich alle Mühe, reines Norwegisch zu sprechen.
„Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich Pate gestanden habe. Und da meine ich, daß ich meinem Patenkind auch etwas Gutes wünschen muß. Es ist so leicht, das hier zu tun. Ich habe in den paar Tagen, seit ich bei euch bin, viel gelernt. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben wirklichen Frieden erlebt, eine ungestörte Harmonie. Ich darf nicht sagen, ich hätte zum ersten Mal eine glückliche Familie gesehen, denn mein eigenes Zuhause ist ebenfalls glücklich. Wir haben aber nicht den ungestörten Frieden, wie ihr ihn besitzt! Ich habe mir diesen Hof genau angesehen, den die stille Emsigkeit und die Redlichkeit von Generationen aufgebaut haben. Ich habe die Umgebung
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