Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
gut, daß Jess dich so nicht sehen kann.“
„Ach, das wird schon wieder werden“, erwiderte Anne.
„Entschuldige mich, Eva, aber ich muß das hier jetzt fertig machen.“
Und Anne rechnete weiter. Ihre ganze Buchhaltung mußte sie abends zu Hause bewältigen.
Sie selbst strickte fast gar nicht mehr. Sie entwarf Muster und machte nur eben die Namen für die bestellten Fausthandschuhe - das waren fünf Reihen je Handschuh, und dafür brauchte eine Anne zwanzig Minuten - alles übrige mußten die Strickerinnen schaffen. Anne hatte mit den Schreibereien und den Abrechnungen genug zu tun und mit dem Entwerfen der Muster. Denn sie mußte immer einen Vorrat an Mustern haben für diejenigen, die Originalarbeiten bestellten mit der Garantie, daß die Arbeit dann die einzige -unbedingt die einzige - in ihrer Art sei. In solchen Fällen mußten sich die Strickerinnen dazu verpflichten, die Arbeit niemand anderen sehen zu lassen; sie hatten die Verantwortung dafür, daß das Muster nicht kopiert wurde, solange die Jacke in Arbeit war.
Anne reckte sich und gähnte. Sie war schrecklich müde.
„Eva, ich glaube ich muß in die Falle, ich.“
„Geh nur, mein Kind. Aber erst sollst du noch ein Glas Milch trinken - und ich habe etwas Obst auf deinen Nachttisch gestellt.“
„Du guter Schwiegerdrache!“
„Du unverschämte Göre! Mach, daß du ins Bett kommst, ich will dein abscheuliches Gesicht nicht mehr sehen.“
Sie lachten beide hellauf, Schwiegermutter und Schwiegertochter, und der „Schwiegerdrache“ wurde herzlich und innig umarmt, ehe Anne sich in ihr Zimmer zurückzog.
Sie war müde - furchtbar müde - blieb aber dennoch ein Weilchen mit offenen Augen liegen. Ihr ging etwas im Kopfe herum, wozu sie sehr, sehr große Lust hatte: Sie hätte Jess zu gern eingeladen, Weihnachten nach Hause zu kommen - ihm die Fahrkarte zu schenken - sie konnte es tun - sie konnte es sich tatsächlich leisten - aber - aber - sie konnte ja nicht wissen, wie das Geschäft nach Weihnachten gehen würde - sie durfte sich vom Weihnachtsverkauf nicht berauschen lassen, der gab keinesfalls ein richtiges Bild von der Situation ab. Nach Weihnachten würde es sicher gewaltig abflauen. Nur gut, daß sie keine feste Hilfe angenommen und sich damit nicht noch mehr laufende Ausgaben auf den Hals geladen hatte. Sie würde sich wohl noch ein Weilchen allein behelfen müssen.
Aber anstrengend war es, das war gewiß. Anne seufzte. Eva war besorgt, weil sie so abgespannt aussah, und Anne hütete sich wohl, ihr zu verraten, daß sie in den letzten Tagen morgens vor Müdigkeit immer nahe daran gewesen war, sich zu übergeben.
Aber die Übelkeit gab sich immer, wenn sie aufgestanden und mit der Arbeit in Gang gekommen war. Genauso wie damals bei ihrer Schwägerin Liv, als diese.
Mit einemmal setzte sich Anne im Bette hoch.
Um alles in der Welt.
Sie hatte in der letzten Zeit so viel zu tun gehabt, daß überhaupt keine Zeit blieb, an sich selbst und ihr eigenes Befinden und ihren Körper zu denken. Jetzt aber begann sie zu überlegen - zu rechnen -zu zählen - Du liebe Zeit.
War es das? War das der Grund, daß ihr so übel war?
Das war ja zum Verzweifeln - das war ja allen Absichten genau entgegengesetzt - Jess studierte in Paris - sie selbst wohnte bei den Schwiegereltern - sie hatten noch keine eigene Wohnung, hatten nicht einmal Möbel für eine Wohnung - es war schon ohnehin schwierig genug, sich durchzuschlagen und dann - dann sollte am Ende ein Kind kommen!
Ein Kind, mitten in all der vielen Arbeit, mitten in Geschäften und Studien - das war so wahnsinnig, daß es schlimmer gar nicht sein konnte.
Ein Kind, das Pflege und Wartung brauchte und Essen und Aufsicht und Kleidung und Kinderwagen und - nein, nein, es durfte nicht wahr sein! Sie irrte sich vielleicht doch!
Aber wenn es nun doch seine Richtigkeit hatte? Anne rechnete noch einmal nach. Es würde im Juli kommen. Ende Juli. In acht Monaten. Bis dahin war Jess wieder zu Hause. Längst wieder zu Hause. Bis dahin hatten sie eine Wohnung. Und vielleicht ging das Geschäft nach so viel Monaten so gut, daß Anne sich die notwendigen Ferien leisten konnte. Bis dahin - ach was, acht Monate waren eine lange Zeit, da konnte eine Menge geschehen - eine Menge wunderbarer Dinge konnte geschehen!
Anne löschte das Licht, legte sich wieder zurück und starrte in die Dunkelheit.
Natürlich müßte sie wünschen, daß es sich nicht so verhielt. Es würde selbstverständlich -
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