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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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aber auch gründlich.«
    »Gründlich genug war es auf jeden Fall«, war Marillas Antwort. Mit einigem Missbehagen stellte sie fest, dass sie bei der Erinnerung an Annes Auftritt schmunzeln musste.
    »Ich hoffe, dass du dir in Zukunft solche Entschuldigungen durch gutes Benehmen von vornherein ersparst, Anne.«
    »Das wäre gar nicht so schwer, wenn die Leute mich nicht immer mit meinem Aussehen aufziehen würden«, seufzte Anne. »Bei anderen Dingen werde ich nicht so leicht zornig; aber ich bin es so leid, wegen meiner Haare aufgezogen zu werden, dass ich innerlich sofort koche. Glaubst du, dass meine Haare mit der Zeit wirklich kastanienbraun werden könnten?«
    »Du solltest nicht so viel an dein Aussehen denken, Anne. Ich fürchte, du bist ein sehr eitles kleines Mädchen.«
    »Wie kann ich eitel sein, wo ich doch weiß, dass ich hässlich bin?«, widersprach Anne. »Aber ich liebe nun mal schöne Dinge - wie diese Blumen zum Beispiel! Sind sie nicht herrlich? Es war nett von Mrs Lynde, dass sie sie mir geschenkt hat. Ich bin jetzt überhaupt nicht mehr böse auf sie. - Glänzen die Sterne nicht wunderbar heute Abend? Wenn du auf einem Stern leben könntest, welchen würdest du dir auswählen? Ich würde den schönen hellen dort über dem Hügel nehmen.«
    »Anne, halt den Mund«, sagte Marilla, erschöpft von dem Versuch, Annes Gedankensprüngen zu folgen.
    Schweigend gingen sie weiter, bis sie Green Gables vor sich liegen sahen. Der Abendwind wehte den Duft von taunassem Farn herüber und ein warmes Licht leuchtete durch die Dunkelheit. Anne kam auf einmal dicht an Marilla heran und ließ ihre kleinen Finger in die raue Hand der alten Frau gleiten.
    »Es ist wunderbar Green Gables zu sehen und zu wissen, dass es mein Zuhause ist«, sagte sie leise. »Ich liebe Green Gables schon jetzt und ich habe noch nie zuvor einen Ort geliebt. Oh, Marilla, ich bin so glücklich! Ich könnte auf der Stelle beten und würde es kein bisschen schwierig finden.«
    Ganz plötzlich spürte Marilla ein warmes, angenehmes Gefühl in sich aufsteigen. Diese Empfindungen waren so neu und überwältigend, dass Marilla nicht wusste, wie ihr geschah. Wie so oft, versuchte sie auch jetzt ihre Gefühle durch eine Ermahnung wieder unter Kontrolle zu bringen.
    »Wenn du ein braves Mädchen bist, wirst du immer glücklich sein, Anne. Und du wirst es niemals schwierig finden, dein Gebet zu sprechen.«
    Doch Anne war schon wieder in ganz andere Welten entschwunden. »Ich stelle mir vor, ich sei der Wind, der dort drüben in den Baumwipfeln spielt. Wenn ich von den Bäumen genug habe, streiche ich sanft über die Farnwedel und fliege dann hinüber zu Mrs Lyndes Garten und bringe die Blumen zum Tanzen. Dann sause ich in einem großen Sturzflug über das Kleefeld und wehe über den >See der glitzernden Wasser< und lasse ihn sich zu lauter kleinen, glänzenden Wellen kräuseln. Ach, der Wind gibt so viel Raum für Phantasie! Deshalb werde ich jetzt auch schweigen, Marilla.«
    »Dem Himmel sei Dank«, sagte Marilla und atmete erleichtert auf.

10 - Anne geht zur Sonntagsschule
    »Nun, wie gefallen sie dir?«, fragte Marilla.
    Nachdenklich betrachtete Anne die drei neuen Kleider, die Marilla auf dem Bett vor ihr ausgebreitet hatte. Eins war aus einem bräunlichgelben Ginghamstoff, das zweite aus schwarzweiß kariertem Satin und das dritte aus blau bedrucktem Kattun. Marilla hatte all diese höchst praktischen Stoffe bei verschiedenen Gelegenheiten günstig erstanden und die Kleider selbst genäht. Alle drei hatten den gleichen schlichten Schnitt und die Ärmel waren so kerzengerade und eng, wie Ärmel nur sein konnten.
    »Ich kann mir vorstellen, dass sie mir gefallen«, antwortete Anne vage. »Aber ich will nicht, dass du es dir nur vorstellst«, sagte Marilla beleidigt. »Ich sehe schon, du magst die Kleider nicht! Was ist mit ihnen? Sind sie nicht ordentlich, sauber und neu?«
    »Doch, doch.«
    »Und was hast du dann an ihnen auszusetzen?«
    »Sie ... sind nicht... schön«, sagte Anne widerstrebend.
    »Schön!« Marilla schnaubte verächtlich. »Natürlich habe ich mir nicht den Kopf darüber zerbrochen, schöne Kleider für dich zu machen. Ich will deiner Eitelkeit schließlich nicht auch noch Vorschub leisten, Anne. Hier sind drei gute, praktische Kleider ohne Rüschen und Schnörkel - diesen Sommer wirst du wohl oder übel mit ihnen auskommen müssen. Das braune und das blaue kannst du zur Schule tragen, wenn es so weit ist; das aus Satin ist

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